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Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prisca Burrows
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nicht allein dem Regen geschuldet, überall Schmutz und Abfall, und er erblickte an Ecken, halb unter Dächer gedrückt, Wesen in abgerissener Kleidung, die einfach nur dort kauerten, wimmerten oder vor sich hinmurmelten, manchmal auch Vorübergehende händeringend ansprachen.
    Er zupfte Tuagh am Ärmel. »Was sind das für Leute?«, fragte er.
    »Bettler.«
    Fionn hörte das Wort zum ersten Mal, aber er begriff sofort. Das waren Leute ohne Heim, ohne Arbeit, ohne … alles. Sie besaßen nichts. Sie waren arm. Und sie bettelten um … Almosen? Das musste das Wort sein, Meister Ian hatte es einmal zornig ausgerufen: »Ich bettle nicht um Almosen! Ich verlange lediglich, was mir zusteht, wir haben einen Vertrag!« Er hatte damals für einen Kaufmann einige Karten angefertigt, die dieser dann nicht bezahlen wollte.
    »Aber in Sìthbaile habe ich nirgends Bettler gesehen …«
    »Das ist ja auch eine von Elben regierte Stadt. Die dulden keine Bettler.«
    So wie Tuagh das sagte, konnte das nichts Gutes für die Ärmsten bedeuten. Aus der Stadt geworfen zu werden, war vermutlich noch die harmloseste Deutung. Nach dem Erlebnis mit dem Hund traute Fionn den Elben inzwischen alles zu. Wobei die Menschen dadurch keinesfalls besser dastanden, denn der Anblick der Bettler hier – und der ganze Dreck – stellte auch ihnen kein gutes Zeugnis aus.
    Und was Fionn am meisten beunruhigte: Er gehörte im Grunde genommen dazu. Selbst die Kleidung, die er trug, war eine milde Gabe gewesen, und er besaß kein Kupferstück, hatte keine Bleibe; ein Habenichts, das war er. Und schlimmer noch, denn die Bettler waren zumindest ihre eigenen Herren, er hingegen war auch noch ein entlaufener Sklave und völlig rechtlos.
    Er räusperte sich. »Es gibt also auch Arme in Sìthbaile?«
    »Es gibt überall Arme, Fionn, nur sieht man sie nicht unbedingt.«
    Weshalb war das so? Bot Albalon etwa nicht genug für alle? Gab es denn nicht ausreichend Platz und Nahrung? Fionn verstand es nicht.
    »Je größer eine Gesellschaft wird«, erklärte ihm Tuagh auf Nachfrage, »umso komplizierter wird es. Vor allem, wenn auch noch verschiedene Völker zusammenleben. Irgendwelche gibt es immer, die straucheln. Sie finden keine Arbeit, oder sie können nicht arbeiten, weil sie krank sind, und dergleichen mehr. Sie müssen Schulden machen, um zu überleben, können das Geld irgendwann nicht mehr zurückbezahlen und verlieren ihr gesamtes Hab und Gut. Wo sollen sie hin, was sollen sie tun? Also betteln sie und können nur noch darauf hoffen, dass sie eines Tages nicht mehr darauf angewiesen sind.«
    »Und was tut die Àrdbéana dagegen?«
    »Sie kann nicht die Verantwortung für jeden einzelnen übernehmen, Fionn, und Tausende wie ein Familienmitglied versorgen. Es genügt, dass sie den Frieden in Albalon wahrt, der Rest liegt an uns, dir und mir und jedem anderen. Freiheit bedeutet auch Verantwortung.«
    Fionn verstand es immer noch nicht und gab es auf. Das alles passte so gar nicht zu der heilen Boginwelt, in der er aufgewachsen war, und zu den Geschichten und Lehren von Onkelchen Fasin. Warum nur sin  wir anders? , fragte er sich. Das dumpfe Gefühl beschlich ihn, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen seinem Volk – und nicht etwa nur Tiw – und dem gewaltsamen Tod von Magister Brychan gab. Hatte deshalb der Oberste Haushofmeister die Verhaftung veranlasst, nachdem die Àrdbéana den Schwächeanfall erlitten hatte; sah auch er einen Zusammenhang? Wusste die Àrdbéana, was an ihrem Hofe vorging, besaß sie angesichts ihrer Krankheit noch den Überblick und hatte sie Einfluss auf die Ereignisse? Andererseits – wodurch sollte der Oberste Haushofmeister einen Zusammenhang erkannt haben?
    »Was steckt da nur dahinter?«, murmelte Fionn vor sich hin.
    Darüber vergaß er sogar den Regen, und dass er inzwischen bis auf die Haut durchnässt war und voller Schlamm und Dreck. Er zitterte ununterbrochen, die stundenlange Kälte ließ ihn aber allmählich abstumpfen. Daran würde er sich ebenso gewöhnen wie an den Hunger; zumindest gegen den Durst war ja derzeit ausreichend gesorgt.
    Überrascht tauchte Fionn aus seinen Gedanken auf, als Tuagh, inzwischen nahte bereits die Dunkelheit, plötzlich anhielt und sagte: »Hier kehren wir ein.«
    Er hatte »wir« gesagt. Fionn war hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Beschämung. Er musste sich etwas einfallen lassen, um es Tuagh vergelten zu können. Doch zuerst Trockenheit, Wärme, und etwas zu essen

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