Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
Vom Netzwerk:
ähnlich.
    Aber alle, die hier standen, fühlten sich wie erschlagen von dieser jähen Schicksalswendung. Dabei hatten sie sich ihrem Ziel doch schon so nah geglaubt!
    »Wir gehen«, entschied der Hüne und gab seinen Männern das Zeichen, ihm zu folgen. »Wir verneigen uns vor der sterblichen Hülle des Kaisers, dann reiten wir in die Stadt, zum Hafen, und nehmen das nächste Schiff, das uns nach Italien bringt.«
    Mit geballten Fäusten stand Dietrich da, ohne etwas zu erwidern. In seinem Gesicht mischten sich Trauer und Abscheu.
    Er konnte diese Fremden, die nicht unter seinem Kommando standen, nicht daran hindern, zu gehen. Und er wusste – auch Thomas wusste es –, dass viele ihnen folgen würden.
    War nun alles vorbei?
    »Ich stehe zu meinem Wort. Und ich vertraue Friedrich von Schwaben. Wer von meinen Gefolgsleuten dem toten Kaiser zu Ehren weiter nach Jerusalem ziehen will, der warte hier.« Auffordernd sah der Graf von Weißenfels seine Männer an, Ritter wie Knappen. »Will einer von euch gehen – dann jetzt! Auf der Stelle. Ich kann nur vollkommen entschlossene Männer brauchen.«
    Ratlos sah Thomas zu Roland. Zu gehen kam für ihn nicht in Frage, auf keinen Fall. Dafür fühlte er sich Graf Dietrich viel zu sehr verbunden und verpflichtet.
    Aber gab es für sie überhaupt noch Aussicht auf Erfolg? In diesem Zustand, krank, schwach, ohne den großen Kaiser Friedrich?
    Vielleicht stimmte es. Vielleicht hatte Gott sie verlassen. Doch was sollten sie tun ohne Gottes Gnade?
    Es schien Thomas, als ob mit dem Tod des Kaisers auf der Welt kein Platz mehr für ein freundliches Gefühl war.
    Um sich nicht ganz von Hoffnungslosigkeit übermannen zu lassen, stand er auf und führte seinen Hengst ein Stück abseits, zu einem Flecken mit frischem Gras. »Du kannst ja nichts dafür, mein Freund«, murmelte er und vergrub sein Gesicht in der Mähne des Rappen.
    »Natürlich ziehen wir weiter«, hatte Roland sofort gesagt. »Was sonst? Wir haben das Wallfahrergelübde abgelegt, da können wir nicht einfach kurz vor dem Ziel umkehren!«
    Natürlich, wie immer vollkommen ritterlich geantwortet!, dachte Thomas bitter und richtete den Blick starr geradeaus, um den Freund nicht sehen zu müssen. Aber du bist ja auch kein Krüppel geworden, du läufst ja nicht Gefahr, dein Seelenheil zu verlieren, weil du in der Beichte einen Bischof belogen hast und weil dich immer wieder Zweifel überkommen, ob es richtig ist, was wir hier tun!
    Er wusste, dass er dem Freund unrecht tat. Roland hatte die gleichen Entbehrungen durchlitten wie er. Er hatte auf das Mädchen verzichten müssen, das er liebte, er hatte seinen Knappen verloren, an dessen Tod er sich die Schuld gab, und sein Pferd. Er hatte in der Schlacht sein Leben aufs Spiel gesetzt und ihn gepflegt, als er sterbenskrank war.
    Weshalb bin ich nicht frei von Zweifeln wie die anderen? Weil sie viel Zeit hatten, den Entschluss zu fassen, auf diesen Kriegszug zu gehen, während uns zwei das Schicksal hierhergetrieben hat wie loses Laub im Herbstwind?
    Wieso schaffe ich es nicht, so auf Gott zu vertrauen, wie es die anderen tun, die sich sogar noch mit einem Lächeln auf den Lippen zum Sterben niederlegen? Weshalb bin ich voll wühlender Fragen und würgender Zweifel, die Roland niemals kämen?
    Durch den so sinnlos erscheinenden Tod des Kaisers fühlte sich Thomas verraten und alleingelassen – von Friedrich dem Staufer, von Gott und der Welt.
     
    Er hörte, dass sich jemand näherte, doch er drehte sich nicht um. Er wollte niemanden sehen und mit niemandem sprechen; er konnte nicht mehr in die Gesichter der trauernden, weinenden, ratlosen Männer blicken.
    Selbst wenn es ein Feind wäre, der ihn töten wollte, würde ihn das heute nicht im Geringsten kümmern.
    »Ihr hadert mit Gott. Das solltet Ihr nicht!«, sagte der kleine Mönch vorwurfsvoll. »Gott ist bei Euch.«
    Gereizt drehte sich Thomas um und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Meinst du? Weshalb dann das« – er hielt dem Benediktiner seinen verletzten Arm unter die Nase – »und vor allem das?!« Mit dem Kinn wies er zu der Stelle, wo man den Kaiser aus dem Fluss gezogen hatte. »Gott hat uns verlassen.«
    Müde lehnte er sich gegen seinen Rappen und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne.
    »Ihr seid wirklich ein ungläubiger Thomas«, sagte Notker. Trotz der Trauer auf seinem Gesicht zeigte er ein winziges Lächeln, nur einen Moment lang.
    »Der Kaiser ist nun in das ewige Heil

Weitere Kostenlose Bücher