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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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nicht, wie er es schaffen sollte, das letzte bisschen Fassung zu bewahren. Er wollte schreien, weinen, fluchen, mit der Faust auf die Wand einschlagen … und er wollte sie an sich ziehen und den Kopf an ihren weichen Körper lehnen, sich von ihr streicheln und trösten lassen. Ein Lufthauch strich über seinen Körper, und dann war sie mit leisen Schritten verschwunden.
    Nun musste er sich nicht mehr beherrschen und konnte seinen Gefühlen freien Lauf lassen.

Die Seuche
    Z um ersten Mal seit Wochen schlief Thomas tief und fest. Diesmal schüttelte ihn nicht das Fieber und plagten ihn keine Alpträume, in denen er verzweifelt und vergeblich versuchte, seine Gefährten zu retten, die gestorben waren. Nacht für Nacht hatte er mit ausgebreiteten Armen diejenigen aufhalten wollen, die im nächsten Augenblick von einem Pfeil durchbohrt, von einem Schwerthieb getroffen worden oder einen Abgrund hinabgestürzt waren. Niemand hörte auf sein Rufen, sie alle starben in seinen Träumen zum hundertsten Mal.
    Doch nicht in dieser Nacht. Traumlos lag er in so schwerem, erholsamem Schlaf, dass er bleiern und benommen aufwachte, als jemand ihn am Arm rüttelte.
    »Steh auf, du musst hier raus!«, sagte Roland, der erschrocken wirkte.
    »Was ist los? Ein Angriff?«, murmelte Thomas, während er sich umsah, ob vielleicht noch das Mädchen im Raum war, das ihn diese Nacht besucht hatte.
    Doch stattdessen waren ein halbes Dutzend kräftige Männer dabei, Kranke in die bis eben noch leeren Betten zu legen, die an der anderen Seite des Saales standen.
    »Nein, eine Seuche!«, antwortete Roland hastig. »Du musst weg von hier, sonst steckst du dich an. Das kann dir im Lager zwar auch passieren, aber dort ist die Gefahr geringer. Dein Heiler hat ausrichten lassen, ich soll dich fortschaffen, wenn du dich stark genug fühlst. Er braucht den Platz für die vielen, die noch kommen werden …«
    Nun nahm Thomas es auch wahr: Der Krankensaal füllte sich nicht nur rasch, sondern jetzt roch es hier auch anders, nach Schweiß und Exkrementen.
    »Die rote Ruhr?«, fragte er beklommen. Wen die erwischte, der hatte kaum Aussicht, zu überleben. Es war die meistverbreitete Seuche auf langen Kriegszügen und bei Belagerungen; vor allem, wenn ein Heer zu lange an einem Ort blieb und die Latrinengräben überquollen und das Wasser verseucht war.
    Doch sie waren hier gut untergebracht und hatten klares, frisches Wasser!
    Weshalb also jetzt eine Seuche? Als späte Folge der langen Entbehrungen?
    »Noch scheißt keiner Blut«, meinte Roland und reichte ihm sein Kleiderbündel, das – sauber gewaschen und geflickt – am Fußende des Bettes lag. »Aber Fieber, Bauchgrimmen, Krämpfe, Erbrechen … und ihnen läuft der Dreck nur so aus den Gedärmen …«
    Thomas schwindelte, als er aufstand. Doch Rolands Bericht trieb ihn zur Eile. Wankend und sich mit Mühe aufrecht haltend, folgte er dem Freund.
    Mit jedem Schritt gewann er etwas von der alten Sicherheit zurück. Seine Wunde schmerzte kaum noch, allerdings hatte er alle Kraft im linken Arm verloren. Doch da sie vorerst wohl nicht ins Gefecht mussten, blieb ihm Zeit, so lange zu üben, bis er den Arm wieder im Kampf einsetzen konnte.
    »Hat es jemanden von unseren Leuten erwischt?«
    »Noch nicht. Aber unter den Männern des Burggrafen von Magdeburg soll es schlimm umgehen, und angeblich ist auch der Bischof von Würzburg erkrankt.«
    Vorsichtig stieg Thomas die Treppe hinab. Unten angelangt, hielt er wieder Ausschau nach dem Mädchen, aber er konnte es nicht entdecken.
    So beunruhigend die neue Lage auch war; auf dem Weg zum Lager konnte er sich nicht länger davon abhalten, Roland von seinem nächtlichen Erlebnis zu erzählen.
    In dem Moment, als er es aussprach, kam es ihm allerdings ebenso unglaubwürdig wie prahlerisch vor, dass sich ihm ein hübsches Mädchen geschenkt hatte und er in seinem Zustand auch noch in der Lage gewesen sein sollte, mehr zu tun, als nur ihre Hand zu halten.
    Der Freund gab sich alle Mühe, nichts von seinen Zweifeln zu zeigen. »Ich habe hier nie ein Mädchen gesehen, wenn ich dich besuchen kam«, meinte er vorsichtig. »Du kannst dich ja in den nächsten Tagen nach ihr umschauen … Aber wie willst du sie finden, wenn du nicht einmal ihren Namen kennst und niemand dort oben unsere Sprache versteht?«
    Über diese Frage hatte sich Thomas auch schon ergebnislos den Kopf zerbrochen. Er musste einfach die Augen offen halten.
    »Wenn es sie wirklich gibt und sie will,

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