Der Fluch der Hebamme
Roland mit den Schultern. »Ich bin ja nicht der Erste hier, der das muss. Und mein Packpferd ist immer noch besser als die meisten Schindmähren, die die anderen reiten.«
Nach den vielen Angriffen der vergangenen Wochen hatten schon etliche der Ritter Schlacht- und Marschross verloren und mussten
nun auf ihr Packpferd steigen.
Roland befahl seinem bedrückt wirkenden Knappen, dem toten Rappen Sattel und Zaumzeug abzunehmen, das Packpferd zu entladen und zu satteln. Dann rief er ein paar Reitknechte heran, damit sie den Pferdekadaver auf einen Trosskarren hievten.
Heute Abend würde es statt des kärglichen Hirsebreis Pferdefleisch im Lager der Weißenfelser geben. Aber er und Thomas würden nichts davon essen.
Am nächsten Morgen erscholl ein selten genutztes Signal durch das Heerlager: nicht das erwartete Zeichen zum Aufbruch, auch kein Alarm, sondern ein Sammelruf an alle Ritter, sich auf der Fläche vor dem riesigen roten Prunkzelt einzufinden, das die ungarische Königin dem Kaiser in Gran geschenkt hatte.
Thomas sah zu Roland, der ebenfalls beunruhigt schien, dann zu Dietrich von Weißenfels, dessen Miene verschlossen und noch ernster als sonst wirkte. Er war gleich nach der Frühmesse zu einer Zusammenkunft des Rates gerufen worden und wenig später zurückgekehrt, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Bei dem Signal unterbrachen seine Ritter sofort das karge Frühmahl, griffen ihre Schwerter von den Waffenständern und folgten Dietrich. Der erteilte – schon im Gehen – den Befehl an die Knappen und Reisigen, mit dem Abbruch des Lagers fortzufahren und die Pferde zu satteln.
Was wird das werden?, überlegte Thomas. Welche Nachricht hat der Kaiser? Und welche Befehle?
Rasch hatte sich die gesamte Ritterschaft eingefunden und sich in Einheiten zu je fünfzig Mann vor dem Kaiser aufgestellt – in gebührendem Abstand, aber nah genug, um zu hören, was er zu sagen hatte. Es mussten wichtige Neuigkeiten sein, wenn der Kaiser selbst sie bekanntgab und das nicht seinem Kriegsrat überließ.
Friedrich von Staufen saß zu Pferd, neben ihm standen sein Marschall und die Bischöfe von Würzburg und Regensburg. Er blickte auf die Männer vor sich und lenkte seinen Schimmel zwei Schritte vor.
»Meine Getreuen!«, rief er, und es schien, als ob sogar der Wind aussetzte, damit seine Worte klar über den Platz getragen wurden. »Gemeinsam sind wir aufgebrochen für das große, heilige Ziel, Jerusalem und das Wahre Kreuz, an dem unser Erlöser gestorben ist, aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Doch seit wir die Grenze nach Byzanz überschritten haben, wird vor unserem Wallfahrerheer ein Hindernis nach dem anderen aufgetürmt. Diese Prüfungen erlegt Uns nicht etwa Gott auf, um Unsere Entschlossenheit auf die Probe zu stellen. Es sind ebenso schmähliche wie nutzlose Versuche des oströmischen Kaisers, Uns aufzuhalten – obwohl er seinen Kanzler Johannes Dukas schwören ließ, Uns in Freundschaft zu empfangen und jegliche Hilfe zu gewähren, und obwohl drei der edelsten Männer des Reiches, darunter Unser Sohn, Unsere friedlichen Absichten beeidet haben.«
Was kommt jetzt?, dachte Thomas, und er konnte an den Gesichtern der Männer sehen, dass sie sich alle das Gleiche fragten, auch wenn noch niemand ein Wort sagte.
»Um den Frieden zwischen Ostrom und Westrom nicht zu stören, haben Wir in unendlicher Geduld seine Ausflüchte hingenommen, auch wenn jeder von Euch und Euern Männern dadurch harte Entbehrungen auf sich nehmen musste«, fuhr der Kaiser mit fester Stimme fort.
»Doch hört, was Isaak Angelos heute Ungeheuerliches mitteilen ließ. Er weigert sich, Uns die zugesicherten Schiffe für die Überfahrt nach Kleinasien zu stellen. Und nicht genug damit – er verbietet Uns die Weiterreise!«
Der Tumult, den diese Worte hervorriefen, war unbeschreiblich. Wochenlang angestauter Zorn unter den Rittern brach sich schlagartig Bahn, lautstarke Verwünschungen wie »Verräter!« oder »Wir lassen uns nichts verbieten!« wurden über den Platz gebrüllt.
Friedrich von Staufen ließ den Männern eine wohlüberlegte Pause lang Zeit, ihre Wut und Fassungslosigkeit herauszuschreien. Dann hob er den Arm zum Zeichen, dass er weiterreden wollte. Sofort kehrte Ruhe ein.
»Nein, Wir lassen uns nicht verbieten, was ausgehandelt und beschworen war!«, fuhr er fort. »Doch hört erst zu Ende, wie weit der Verrat des Byzantiners reicht. Wir haben sichere Nachricht, dass Isaak Angelos Unsere Gesandten,
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