Der Fluch der Maorifrau
Herz raste, als sie das Gespräch überdachte. Sie hatten sich soeben ihre Liebe erklärt!
Tomahawk/Dunedin, Mai 1915
Für Kate war dieser ungemütliche Maitag trotz des stürmischen Wetters der mit Abstand schönste seit Bills Abreise. Glücklich hielt sie einen Brief von ihrem Mann in der Hand. Wohl ein Dutzend Mal hatte sie ihn schon gelesen. Nora hatte ihn ihr nach Tomahawk mitgebracht.
»Dann wollen wir mal. Die Pflicht ruft.« So holte ihre Schwägerin sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Kate stöhnte. Es war Sonntag. Da gab es kein Entrinnen.
Kate hatte sowohl in der Kirche als auch beim sonntäglichen Familienessen anwesend zu sein. So wollte es die Tradition. Dabei war ihre Anwesenheit allen außer Nora und Peter nur lästig, aber was sollten die Leute denken, wenn die Familie nicht vollzählig zum Gottesdienst erschien?
Ihr Schwiegervater nutzte diese Pflichttermine, um sie andauernd zu kritisieren. Ob es ihre Kleidung war, ihr Hut, ihr Benehmen, stets hatte er etwas an ihr auszusetzen. Kate ließ seine Tiraden schweigend über sich ergehen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken an Bill und ihr Kind. Inzwischen stand zweifelsfrei fest, dass sie schwanger war. Ihre Monatsbeschwerden waren endgültig ausgeblieben, ihre Brüste spannten, und jeden Morgen beim Aufstehen wurde ihr übel. Allerdings hatte sie es noch keinem Menschen erzählt. Selbst am letzten Sonntag, als ihr Schwiegervater auf der Kutschfahrt gezischelt hatte: »Wie kann man nur eine Frau heiraten, die zu alt ist, Kinder zu bekommen!«, hatte sie mit zusammengepressten Lippen geschwiegen. So sehr konnte er sie gar nicht provozieren, dass sie ihm ihr süßes Geheimnis verraten würde. Er würde es schon begreifen, wenn ihr Leib sich zunehmend rundete.
Noch einmal las sie Bills süße Worte: »Ich freue mich so auf unser Kind. Du machst mich zum glücklichsten Menschen auf Erden, Liebstes.« Er berichtete, dass der Angriff der ANZAC-Truppen bei Gallopoli am fünfundzwanzigsten April erfolgreich verlaufen sei. Optimistisch ließ Bill durchblicken, dass er bald mit seiner Rückkehr rechnete. »Ich glaube, ich habe einen Schutzengel. Ich muss nur an dich und unser Kind denken. Dann fühle ich mich unverwundbar.«
Kate seufzte und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn Bill sich nur nicht täuschte! Nun wandte sie sich an Nora, die noch einmal zur Eile mahnte.
»Darf ich dir vorher ein Geheimnis anvertrauen?«
Ihre Schwägerin schmunzelte: »So selig, wie du lächelst, kann es nicht der Brief allein sein, sondern ein vielleicht eher süßes Geheimnis?«
Kate strahlte, und Nora drückte sie an sich.
»Aber nicht deinem Vater verraten!«
»Unter einer Bedingung!«
»Und die wäre?«
»Du ziehst zu uns, damit ich dich ordentlich verwöhnen kann.«
»Hört sich gut an.« Kate folgte Nora fröhlich summend zur Kutsche. Den Brief hatte sie in ihre Manteltasche gesteckt. Durch Sturm, Regen und eisige Kälte machten sie sich auf den Weg zur First Church nach Dunedin.
Die Familie traf sich wie immer vor dem Gotteshaus. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge. Kate bemerkte es nur am Rande. Sie war viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt.
Als sie nach dem Gottesdienst die Kirche verließen, hörte Kate eine Stimme. »Mörder sind das, Mörder!« Das bezog sie nicht auf sich, aber der feste Druck, mit dem Nora plötzlich ihre Hand umschlossen hielt, signalisierte ihr Gefahr.
Erst, als eine alte Frau direkt vor Kates Füße spuckte, begriff Kate, dass der Aufruhr ihr galt. Was hatte das zu bedeuten? Ein Blick in das schadenfrohe Gesicht ihres Schwiegervaters zeigte ihr, dass er nicht unschuldig daran war.
»Geh zurück nach Deutschland!«, ertönte es gehässig.
Als wäre ein Damm gebrochen, schrien ihr die Leute nun von allen Seiten Verwünschungen zu.
»Wer weiß, ob sie nicht auch eine Spionin ist!«
»Die gehört nach Solmes Island!«
Einer brüllte sogar: »Für jeden Ertrunkenen einen toten Deutschen!«
Da dämmerte Kate, was den Hass dieser Menschen angestachelt haben könnte. Vor mehr als einer Woche hatte sie es zu ihrer Empörung in der Otago Daily Times gelesen: Deutsche U-Boote hatten vor der Küste Irlands den britischen Cunard Dampfer Lusitania torpediert. Rund eintausendzweihundert Menschen hatten dabei ihr Leben verloren.
Sie spürte, wie sie heftig am Arm gezogen wurde. Nora versuchte, sie aus der Menge zu führen, Peter jedoch baute sich vor den Menschen auf und sah vor Zorn funkelnd in die
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