Der Fluch der Maorifrau
Runde.
»Viele von euch kenne ich von Kindheit an, aber dass ihr euren Hass an einer unschuldigen Frau entladet, ist unverzeihlich!«, brüllte er. Dann flüsterte er Kate zu: »Schnell, steig in die Kutsche!«
Aber sie dachte nicht daran. Seit jeher verabscheute Kate Ungerechtigkeit, und sie hatte den Damen in Apia stets die Stirn geboten. Obwohl ihr klar war, dass es sich nicht um ein paar harmlose Klatschweiber handelte, sondern um eine aufgehetzte Menge, wollte sie nicht feige flüchten. Im Gegenteil, sie drückte das Kreuz durch und schrie zornig: »Ich weiß nicht, wer euch gesagt hat, dass ich eine Deutsche bin. Ich habe zwar deutsche Wurzeln, aber neuseeländische Eltern. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und verurteile die Torpedierung des Dampfers genauso wie ihr. Wie soll ich in ein Land zurückgehen, das ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe? Ich bin eine von euch, ob es euch gefällt oder nicht. Wenn ihr einen Sündenbock braucht, seid ihr an die falsche Person geraten!«
Die Schreihälse verstummten. Einige von denen, die nicht laut mitgebrüllt hatten, pflichteten ihr bei. Kate wandte sich erhobenen Hauptes ab und kletterte in die Familienkutsche.
Ihr Schwiegervater saß bereits darin. Er schien beinahe vor Wut zu platzen. »Du hast es wohl nicht gelernt, deinen Mund zu halten, was?«
Kate wollte gerade etwas erwidern, als Nora dazwischenging. »Vater, es reicht! Mach mir doch nichts vor! Du bist schuld an diesem Vorfall.«
»Ich? Habe ich das Schiff versenkt?«, gab er spöttisch zurück.
»Nein, aber du lässt keine Gelegenheit aus, Kate zu quälen und zu demütigen. Du bist wahrscheinlich in der ganzen Stadt herumgerannt und hast jedem erzählt, dass du eine Deutsche durchfüttern musst. Deshalb wird Kate ab heute bei uns wohnen!«
»Ja, ich glaube, es ist besser für das Kind«, sagte Kate leise. »Du bekommst ein Kind?«, fragte ihr Schwiegervater tonlos.
Kate nickte. Paul McLean wandte sich seiner Tochter zu. »Das ändert die Lage natürlich. Wenn sie ein Kind erwartet, wird sie bei mir bleiben. Das Kind ist mein Erbe. Es gehört in mein Haus.« Kate schüttelte nur stumm den Kopf. Ihre Entscheidung war gefallen.
Dunedin, Juni 1915
In der Princes Street nahm Kate das Malen wieder auf. Kaum hatte sie ein Aquarell fertiggestellt, riss Martha O'Brian es ihr aus den Händen. Sie erzielte Preise für die Bilder, die Kate schwindlig machten. Auf diese Weise konnte sie ein wenig Geld zusammensparen.
Das Einzige außer Bills Abwesenheit, was ihren Aufenthalt in Dunedin überschattete, war die Tatsache, dass man Peter einen lukrativen Posten in Edinburgh angeboten hatte. Er war fest entschlossen, ihn anzunehmen. Sobald der Krieg zu Ende war, würde er mit seiner Familie nach Schottland übersiedeln.
Nora bot Kate an, nach ihrer Abreise und Bills Rückkehr in das Haus in der Princes Street zu ziehen. Es wäre ein Traum, wenn mein Kind dort aufwachsen könnte, wo ich selbst als Kind getobt habe, dachte Kate und schrieb die Neuigkeit sofort ihrem Bill. Obwohl sie keinen Brief mehr von ihm bekommen hatte, schickte sie ihm fast täglich eine Nachricht.
Im Juni fiel der erste Schnee des Jahres. Kate schaute aus ihrem Atelier hinaus in die tanzenden Flocken und freute sich auf die Schlittenfahrt, die am Nachmittag mit Nora geplant war. Ein herrlicher Wintertag!
Peter hatte Kate einen geräumigen Abstellraum frei räumen lassen, wo sie ungestört malen konnte. Sie war gerade mit einem Aquarell beschäftigt, das ein reicher Brauereibesitzer in Auftrag gegeben hatte, als es unten an der Tür klopfte. Sie nahm die mit Farben bekleckerte Malschürze ab und strich sich durch das zersauste Haar.
Als sie die Tür öffnete, erschrak sie. Mit leichenblassem Gesicht und wirrem Blick hielt ihr Schwiegervater ihr einen durchweichten Umschlag entgegen.
»Ein Brief für dich!«, krächzte er.
»Komm erst einmal ins Haus!«, bot sie ihm höflich an, während sie den Umschlag entgegennahm. Er folgte ihr in den Salon. Kate konnte sich kaum noch beherrschen. Am liebsten hätte sie den Brief ungestüm aufgerissen. ANZAC, Australian and New Zealand Army Corps stand auf dem Absender, mehr nicht.
Ein offizielles Schreiben des Armeecorps!, durchfuhr es Kate eiskalt, und sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. Tief im Inneren ahnte sie bereits, was das zu bedeuten hatte, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Mit zitternden Fingern versuchte sie, den Brief zu öffnen, aber ihre Bewegungen waren so
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