Der Fluch der Maorifrau
fahrig, dass es misslang. Hektisch riss sie den Umschlag samt Inhalt in der Mitte durch. Danach gelang es ihr, das Schreiben aus dem Umschlag zu schütteln. Sie fügte die Hälften zusammen und las die Worte laut vor:
»Liebe Missis McLean,
wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann Bill McLean bei einem Überraschungsangriff der Türken am 19. Mai schwer verwundet wurde und einen Tag darauf seinen schweren Verletzungen erlegen ist. Die Schwester, die bis zuletzt an seinem Bett saß, lässt Ihnen ausrichten, dass er bis zum Schluss bei klarem Verstand war und ihr von Ihnen und von dem Kind, das Sie erwarten, erzählt hat. Seine letzten Worte waren: Ich liebe euch! In der Hoffnung, dass es Sie tröstet. Seine persönlichen Dinge erhalten Sie mit getrennter Post. Er war ein wunderbarer Mensch.
Hochachtungsvoll,
Colonel Brad«
Erst als Kate das erstickte Schluchzen ihres Schwiegervaters hörte, erfasste sie die Nachricht. Ihr Herz schien auszusetzen. Ein eisiger Hauch lähmte Kate. Tot. Bill ist tot! Er wird unser Kind nie in seine Arme schließen, dachte sie und sprang auf, um Bills Vater im gemeinsamen Leid zu umarmen, doch der stieß sie mit voller Wucht von sich und schrie: »Wenn es ein Junge wird, werde ich ihn erziehen!«
Kate spürte nur noch, wie sie von der Wucht des Stoßes ins Straucheln geriet und nach hinten kippte. Das Letzte, was sie fühlte, war ein stechender Schmerz am Hinterkopf.
Ocean Grove, 17. Januar 2008
Seufzend legte Sophie die Aufzeichnungen aus der Hand. Arme Kate! Jetzt hatte sie ihre große Liebe auf so tragische Weise verloren! Warum lagen die Liebe und der Schmerz nur so nahe beieinander? Vielleicht war es doch besser, einen Mann nicht aus tiefster Seele zu lieben. Wenn ich Jan geheiratet hätte, hätte ich vermutlich nie so schrecklich leiden müssen wie Anna oder Kate, dachte sie. Ihre Gedanken wanderten zu John. Zögerte sie deshalb, sich mit ihm zu treffen? Aus Angst vor dem Schmerz? Wie sollte sie ihr Verhalten sonst deuten? Da gab es einen Mann, den sie liebte und der sie liebte ... Warum rief sie ihn nicht an und sagte: Komm! Steh mir bei! Halte mich! Die sonderbarsten Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Konnte sie sich der Liebe erst in dem Augenblick ergeben, in dem das Geheimnis gelüftet war? Was, wenn der Fluch auch ihr Schicksal bestimmte? Wenn auch ihr alles genommen würde, wenn sie sich der Liebe hingab?
Entschlossen sprang Sophie auf. Ich muss mich bewegen!, ging es ihr durch den Kopf. Sie konnte nicht länger still sitzen. Sie war furchtbar aufgeregt. Sie zog sich Joggingsachen an und rannte, ohne zu überlegen, zum Strand hinunter, am Meer entlang und dann nach oben auf den Klippenpfad.
Sie blieb erst stehen, als sie partout nicht mehr konnte. Mit Schrecken stellte sie fest, dass sie sehr weit gelaufen sein musste. Sie bekam es mit der Angst und kehrte um. Auf dem Rückweg steigerte sie ihr Lauftempo. Völlig außer Atem erreichte sie schließlich das Haus, vor dem gerade ein schwarzer Jeep davonraste. Die Angst fuhr ihr in alle Glieder. Sie schwitzte, hatte Seitenstiche und konnte sich nur mühsam auf die Veranda schleppen.
Als sie einen kleinen Stapel Papier auf dem Tisch entdeckte, wurde ihr jedoch eiskalt. Die Blätter waren mit einem Gummiband zusammengehalten. Vorsichtig zog Sophie die erste Seite hervor, der im oberen Bereich ein Drittel fehlte. Sophie lief mit dem Bündel hinein, holte die Aufzeichnungen aus dem Schlafzimmer und hielt die beschädigte Seite an das zerrissene Blatt, das sie noch besaß. Die beiden Teile passten perfekt aneinander. Nun hielt sie die erste Seite von Emmas Geschichte komplett in den Händen! Mit einem flüchtigen Blick auf die folgenden Blätter stellte Sophie fest, dass diese dicht beschrieben waren. Kein Zweifel, sie hielt den Schlüssel zu Emmas Geheimnis in den Händen. Es kribbelte ihr in den Fingern, Seite um Seite umzublättern, um nach Thomas Holden zu suchen, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen.
Sie würde es genau so machen, wie es sich ihre Mutter gewünscht hatte. Sie würde erst Kates Geschichte zu Ende lesen. Es fiel ihr wahnsinnig schwer, aber mit zittrigen Händen trug sie die Manuskriptseiten ihrer Mutter ins Schlafzimmer und schob sie unter das Bett. Dabei stieß sie auf einen Widerstand. Überrascht kniete Sophie nieder, um nachzusehen. Ein Kasten, der über und über eingestaubt war. Hier ist offenbar ewig nicht mehr geputzt worden, dachte Sophie.
Vorsichtig pustete Sophie
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