Der Fluch der Maorifrau
dem Nachttisch lagen. »War es Tom, der sie dir gebracht hat?«
»Okay, ich gebe es zu, ich habe Emmas Aufzeichnungen. Sie lagen plötzlich draußen vor der Tür.«
Judith sah ihre Freundin durchdringend an. »Und du hast wirklich nichts gesehen? Auch keinen schwarzen Jeep?«
Sophie schüttelte mit dem Kopf.
»Sind sie das? Darf ich mal?« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Judith nach Emmas Geschichte und begann an dem Papier zu schnuppern. »Ich hab's doch gewusst! Er raucht immer noch, obwohl er Silvester damit aufhören wollte!«, sagte sie tonlos.
»Wer raucht?«
»Er hat sie in den Händen gehalten. So riechen unsere Zeitungen, so riechen seine Briefe, so riecht der Zettel, den er mir dagelassen hat. Eine Mischung aus Tabak und seinem Rasierwasser.« Sie roch noch einmal prüfend an den Seiten. »Er hat es nicht nur in der Hand gehalten. Er hat es gelesen. Ich mag diesen Duft, auch wenn ich nicht möchte, dass er raucht. Sophie, Tom ist der Mann, den du suchst!«
Sophie atmete tief durch. Es hatte keinen Zweck, der Freundin noch länger die Wahrheit vorzuenthalten. Fast entschuldigend sagte sie: »Ich habe den Jeep davonbrausen sehen, aber ich wollte dich nicht beunruhigen.«
»Er ist es. Er hat es bestimmt nicht für einen Mandanten getan. Zwischen deinem und seinem Leben muss es eine Verbindung geben. Aber was könnte das sein?«
»Vielleicht hat das alles gar nichts zu bedeuten und es gibt eine simple Erklärung«, sagte Sophie ausweichend.
»Sophie, ich bin Anwältin. Und nach der Beweislage gibt es keinen Zweifel daran, dass Tom diese Unterlagen aus meinem Schrank entwendet, sich mir nicht anvertraut, sondern sich damit aus dem Staub gemacht hat. Erstens, wäre er nur der Anwalt jenes Thomas Holden, dann hätte er mich eingeweiht. Mein Freund ist kein Idiot; wegen eines Mandanten würde er mich nicht hintergehen. Zweitens schleicht Tom in seinem Jeep hier in der Gegend herum. Ich wäre dumm, wenn ich die Fakten nicht anerkennen würde. Dann bleibt nur noch eine Frage zu klären: Warum? Warum tritt er dir gegenüber nicht offen auf? Oder mir? Warum verfolgt er uns? Die Anwältin in mir sagt, dass er etwas zu verbergen hat. Aber was kann das sein?
Sophie zuckte mit den Achseln. Das wüsste sie auch gern!
»Es ist doch sinnlos, weiter im Dunklen herumzustochern«, erklärte Judith entschlossen. »Ich fahre jetzt rüber in die Kanzlei und werfe noch einmal einen Blick auf das Testament. Du kannst ja derweil in den Aufzeichnungen deiner Mutter stöbern. Ich bringe auf dem Rückweg etwas zu essen mit. Fish and Chips?«
Sophie sah Judith mit großen Augen an. Wie sie damit umging. Bewundernswert!
»Dass du dich dem so stellst, das ist Wahnsinn. Ich meine, du bist schwanger von dem Mann«, stammelte Sophie.
»Ich habe schon als Kind meine Eltern mit meiner Ehrlichkeit zur Weißglut gebracht. Ich mag es nicht, wenn Dinge unklar sind und mir etwas verschwiegen wird -« Sie unterbrach sich, als Sophie ein betretenes Gesicht zog.
»Liebes, du hast es nur gut gemeint. Das weiß ich zu schätzen, aber trotzdem, jetzt packe ich es an. Auch für das Kind. Denn die Anwältin wittert zwar finstere Absichten, aber die Mutter seines Kindes befürchtet, dass Tom Hilfe braucht! Aber wie soll ich ihm helfen, wenn ich nicht weiß, was ihn umtreibt? Ich werd's herausfinden!« Und schon war sie aus dem Zimmer.
Was für ein toller Mensch sie doch ist, dachte Sophies, bevor ihre Gedanken zu Tom wanderten. In welchem Verhältnis hat er bloß zu Emma gestanden?, überlegte sie. Ihr Liebhaber war er bestimmt nicht! Ein enger Verwandter? Aber selbst wenn Tom ein Nachkomme von Walter war, wieso vererbte Emma ihm dann die Hälfte ihres Vermögens? Oder wollte sie an Tom gutmachen, was der alte Paul McLean einst Walter angetan hatte? Nein, wie Sophie es drehte und wendete, sie fand keine überzeugende Erklärung.
Es half nichts. Der einzige Weg herauszufinden, wer er wirklich war, führte über den Stapel dicht beschriebenen Papiers. Zögernd streckte sie die Hand danach aus, aber dann besann sie sich und griff stattdessen nach dem ungelesenen Teil von Kates Geschichte. Wie hatte Emma es John noch erklärt? »Meine Tochter soll es fühlen, sie soll es verstehen. Und das kann sie nur, wenn sie die ganze Geschichte liest.«
Dunedin, im Juni 1929
Bill John liebte das neue Zuhause in der Princes Street vom ersten Augenblick an und noch mehr Pakeha, wo sie die Sommer und viele Wochenenden verbrachten. Der Grund für
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