Der Fluch der Maorifrau
Christine neugierig: »Was ist passiert? Geht es ihm nicht gut?«
»Kein Grund zur Besorgnis!«, erwiderte sie knapp.
»Sag mir die Wahrheit! Es ist doch etwas geschehen.«
»Bill John glaubt, Walter auf der Straße gesehen zu haben«, erwiderte Kate seufzend.
»Der Kerl kommt aber nicht zurück, oder? Seid bloß froh, dass er weg ist! Ich hab ihn noch nie leiden können«, erklärte Christine ungerührt.
Kate zog es vor, das Gespräch zu beenden. »Mach dich fertig, Christine. Wir fahren gleich nach Pakeha«, sagte sie und faltete den Brief zusammen. An ihrem Herzklopfen erkannte sie, dass sie die Nachricht von Walters Verbleib alles andere als kaltließ.
Ocean Grove, Februar 1939 bis November 1940
Ihren fünfzigsten Geburtstag verbrachte Kate in Pakeha. Sie hatte nur ein paar Freundinnen nach Ocean Grove eingeladen. Für sie hieß es allerdings immer noch Tomahawk, so wie John es ihr damals erklärt hatte.
Insgeheim hoffte sie allerdings, dass Bill John es schaffen würde, an diesem Tag für immer nach Hause zurückzukehren - als frisch examinierter Arzt. Er hatte ihr geschrieben, dass er alles daransetzen würde, das zu schaffen, und sie gebeten, es für sich zu behalten. Er wollte Christine überraschen, die er sehr zu vermissen schien.
Die lustige Frauengesellschaft hatte bereits dem Alkohol zugesprochen, als Kate ihn kommen sah. Er bedeutete ihr, sich nichts anmerken zu lassen. Das fiel ihr unendlich schwer, denn ihr Herz sprudelte geradezu über vor Liebe für diesen stattlichen, dunkel gelockten jungen Mann, der in den vier Jahren seiner Abwesenheit ein Ebenbild seines Vaters geworden war. Trotzdem wahrte sie die Fassung, bis sich Bill von hinten an Christine herangeschlichen und sie umarmt hatte.
Die Sonne schien aufzugehen in dem schmalen Gesicht der jungen Frau mit dem melancholischen Ausdruck. Christine lachte und weinte abwechselnd, während Bill John sie vom Stuhl zog und herumwirbelte.
Schließlich ließ er sie los und küsste und herzte seine Mutter und wünschte ihr alles Gute. »Ich habe dich schrecklich vermisst«, raunte er ihr ins Ohr, und Kate wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Sie genoss diesen unvergleichbaren Moment des Glücks in vollen Zügen.
Bill John trat bald darauf eine Stelle in einem Dunediner Krankenhaus an. Er war inzwischen ein reicher junger Mann. Jonathan Franklin hatte das Barvermögen seines Großvaters so gut vermehrt, dass Bill John eigentlich gar nicht arbeiten müsste, aber er war Mediziner aus Leidenschaft und dachte gar nicht daran, faul herumzusitzen und das Vermögen seines Großvaters zu verprassen. In seiner grenzenlosen Großzügigkeit hatte er seiner Tante Jane die Farm überschrieben, was Kate mit gemischten Gefühlen betrachtete. So viel Glück hatte dieses bösartige Frauenzimmer nicht verdient. Andererseits musste es entsetzlich für Jane sein, dass ihr so viel Edelmut entgegengebracht wurde, ein Gedanke, der Kate darüber hinwegtröstete, dass ihrer Schwägerin Gutes widerfahren war.
Christine studierte in Dunedin inzwischen ebenfalls Medizin, um ihrem Mann später in seiner Praxis helfen zu können, aber sie kam nicht so recht voran. Nicht, weil sie zu dumm war, sondern weil sie sich im Grunde vor Krankheiten gruselte. Nach einem Jahr warf sie das Studium endgültig hin.
Bald darauf heirateten Bill John und sie. Kate hatte ihren Widerstand gegen diese Ehe aufgegeben. »Sie ist verloren ohne mich«, hatte Bill John ihr gestanden, als sie ihn aus mütterlicher Sorge gefragt hatte: »Liebst du sie denn wirklich?«
Als Kate sich am Abend nach der Hochzeit von dem jungen Ehepaar verabschieden wollte, das im Hotel von St Clair übernachtete, bat ihr Sohn sie, noch einen kleinen Spaziergang mit ihm zu unternehmen.
Gemeinsam gingen sie hinunter zum Strand, wo sie am Wasser entlangwanderten. Kate spürte, dass Bill John etwas auf dem Herzen hatte, aber noch nach den richtigen Worten zu suchen schien.
»Mutter, ich habe mich freiwillig zur Armee gemeldet«, sagte er plötzlich unvermittelt.
Kate geriet ins Stolpern und stieß einen spitzen Schrei aus. Im letzten Moment umklammerte sie seinen Arm, um nicht hinzufallen. »Junge, wie kannst du das tun? Bitte, bleib hier!«, flehte sie. Sie hielt ihn fest umklammert. »Bitte geh nicht. Das ertrage ich nicht! Bitte!«
»Mir wird schon nichts geschehen, Mutter. Sie brauchen Ärzte. Verstehst du? Ich kann nicht untätig hier herumsitzen, während meine besten Freunde nach Europa ziehen, um zu
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