Der Fluch der Maorifrau
seine Liebe waren allerdings nicht nur die Natur und die Freiheit, die er dort genoss, sondern auch Christine Cramer. Die beiden verbrachten jede freie Minute zusammen.
»Mama, stell dir vor, Christine will mich heiraten, aber ich bin doch noch viel zu klein«, erklärte ihr Sohn eines Tages im Brustton der Überzeugung.
Lachend gab Kate ihm recht. »Ja, ein paar Jährchen solltet ihr damit schon noch warten«, scherzte sie.
Bill John hatte sich zu einem humorvollen, charmanten Vierzehnjährigen entwickelt. In der Schule erbrachte er Leistungen, auf die sie stolz sein konnte, und als er ihr eines Tages verkündete, er wolle die Farm nicht übernehmen, sondern lieber Arzt werden, rannte er bei seiner Mutter offene Türen ein.
Gleich nach dem Tod ihres Schwiegervaters hatte sie den Anwalt Jonathan Franklin aufgesucht. Sie hätte gern schriftlich geregelt, was Paul McLean nicht mehr hatte niederschreiben können, aber der Anwalt machte ihr keine Hoffnungen. Der Alleinerbe heiße Bill John McLean und sie als seine Mutter könne ohne seine Zustimmung nicht über das Erbe verfügen.
»Wenn er volljährig ist, können Sie Ihren Sohn bitten, seinem Cousin den versprochenen Anteil auszuzahlen«, schlug der Anwalt vor.
Kate war sich sicher, dass Bill Johns Gerechtigkeitssinn so gut ausgeprägt war, dass er in ihrem Sinne handeln würde, aber noch war er ein Kind.
Kate hatte ihr eigenes Einkommen. Die Aquarelle der Malerin Kate McDowell fanden reißenden Absatz. Sie kümmerte sich nun selbst um den Verkauf. Nie wieder wollte sie von einer Galeristin oder Agentin abhängig sein. Ihre Kunden durften sie jederzeit im Atelier besuchen, das sie sich in der Princes Street eingerichtet hatte.
Eigentlich hätte Kate zufrieden mit ihrem Leben sein können, wenn da nicht jener Stachel gewesen wäre, der ihr den Alltag vergällte. Ihr Stiefsohn Walter! Was hatte sie nicht alles getan, um ihm die Liebe zu geben, die er niemals bekommen hatte. Vergeblich! Ihre Gefühle schienen an ihm abzuperlen. Er ging finster und verstockt durch das Leben. Am wohlsten schien er sich draußen in Opoho, auf der Farm, zu fühlen. Mit knapp fünfzehn hatte er die Schule abgebrochen und trieb sich seitdem manchmal wochenlang dort herum. Da Kate nicht mit Jane sprach, erfuhr sie nicht, wie er sich als Farmer machte. Ihr Gefühl sagte ihr jedoch, dass es ihm guttat und er der geborene Farmer war, nicht Bill John. Selbst wenn ihr Sohn nicht Medizin studieren würde, dann auf jeden Fall etwas anderes. Schafe würde dieser Junge nicht züchten, so viel stand fest. Deshalb glaubte Kate, eine Lösung für das Erbschaftsproblem gefunden zu haben. Sie musste Walter ihren Plan nur noch offenbaren.
Die Gelegenheit ergab sich an einem kalten Abend im Juni. Bill John war zum Geburtstag von Christine Cramer eingeladen und deshalb nicht da. Der Wind pfiff um die Häuser, doch im Salon der Princes Street brannte das anheimelnde Feuer des Kamins. Kate hatte ein kleines Festessen zubereitet, Lamm, immer noch das Einzige, was ihr problemlos gelang. Sie wollte Walter die gute Nachricht in gemütlicher Atmosphäre überbringen. Natürlich musste sie Bill Johns Entscheidung zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag abwarten, aber so wie sie ihn kannte, würde er ihrem Plan zustimmen. Walter war gerade von der Farm zurückgekehrt. Wie immer saß er wortkarg und verschlossen bei Tisch und schien nicht im Geringsten wahrzunehmen, welche Mühe seine Stiefmutter sich gegeben hatte. Sogar eine Flasche Wein hatte sie auf den Tisch gestellt.
Schweigend goss sich Walter ein Glas davon ein. An der Art, wie er es hinunterstürzte, konnte Kate unschwer erkennen, dass es nicht sein erstes war.
»Walter, würdest du später gern auf Großvaters Farm arbeiten?«, fragte sie ihn in das Schweigen hinein.
Walter blickte sie aus seinen blauen Augen spöttisch an.
»Was soll das? Wird das ein Spiel?«
»Nein, ich möchte wissen, ob du dir ein Leben als Farmer in Opoho vorstellen kannst.«
»Nein. Ich werde doch nicht Bill Johns Knecht.«
»Ich frage dich, ob du die Farm übernehmen willst, wenn Bill John einundzwanzig geworden ist.«
Walter lachte trocken auf. »Warum foppst du mich? Macht dir das Spaß?«
Kate horchte auf. Was war das für ein Ton? So hatte er lange nicht mit ihr geredet! Wollte er nicht verstehen, was sie ihm da gerade anzubieten versuchte?
»Sieh mal, Walter, Großvater hat euch beide bedacht, und so wie ich Bill kenne, bleibt er bei seinen Vorsätzen. Er will Arzt
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