Der Fluch der Maorifrau
werden, und das würde bedeuten, dass du die Farm übernehmen kannst.«
Statt sich zu freuen, sprang Walter wütend auf. »Du lügst!«, schrie er. »Du bist eine verdammte Lügnerin. Großvater hat alles deinem Sohn vermacht. Ich bin leer ausgegangen. Warum erzählst du mir seit Jahren, dass er uns beide bedacht hat? Dein Kleiner hat alles gekriegt.«
Kate wollte protestieren, aber Walter brüllte jetzt: »Hör auf zu lügen! Ich weiß, dass du Großvater dazu gebracht hast, nur seinen Liebling zu bedenken, und mich um mein Erbe betrogen hast. Tante Jane hat mir längst die Augen geöffnet. Gib es endlich zu! Sie hat das Testament gesehen. Von mir steht nichts drin, aber du hast mir das immer vorgegaukelt, damit ich schön ruhig bleibe. Ich hasse dich! Ich habe dich vom ersten Augenblick an gehasst!« Damit sprang Walter vom Tisch auf und lief hinaus.
Nachdem Kate sich von ihrem Schrecken erholt hatte, suchte sie ihn. Aber er hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Sie klopfte, doch er antwortete nicht. Es hat keinen Zweck, dachte Kate resigniert. Jane hat den Jungen aufgehetzt. Er soll sich erst mal beruhigen. Dann werde ich ihm erklären, was am Sterbebett seines Großvaters wirklich geschehen ist.
Am nächsten Morgen wunderte Kate sich, dass Walter nicht zum Frühstück erschien. Eigentlich war er ein Frühaufsteher, und Bill John war schon lange in der Schule. Gegen Mittag klopfte sie an seine Tür, aber nichts rührte sich. Vorsichtig drückte sie die Klinke hinunter. Die Zimmertür war offen. Mit einem Blick erkannte Kate, dass Walter verschwunden war. Sowohl seine Kleidung als auch seine liebsten Sachen waren fort.
Sicher ist er zu Jane gezogen, beruhigte sie sich. Aber so war es nicht.
Jane bemerkte nur bissig: »Er ist nicht hier. Bist du nun zufrieden? Nun hast du den armen Jungen auch noch aus dem Haus getrieben.«
Kate war wie betäubt. Als Walter verschwunden blieb, ließ sie nichts unversucht, um herauszubekommen, wo er sich aufhielt, doch es fehlte jede Spur von ihm.
Dunedin, im Januar 1935
Es war purer Zufall, dass Kate je wieder etwas über den Verbleib ihres Stiefsohnes erfuhr.
Sie konnte es kaum glauben, obwohl sie Bill Johns Brief immer und immer wieder las.
Seit drei Monaten studierte er in London Medizin. Kate hatte ihn nur ungern ins ferne Europa ziehen lassen. Noch schwerer war allerdings Christine Cramer der Abschied von ihm gefallen. Nachdem ihre Eltern beim großen Erdbeben in Napier ums Leben gekommen waren, hatte Kate sie in ihre Obhut genommen. Das Mädchen war Kate ans Herz gewachsen wie eine eigene Tochter, nur eines machte ihr Sorgen: Christine hing wie eine Klette an Bill John und betrachtete ihn bereits als ihren zukünftigen Ehemann.
Kate seufzte. Insgeheim hoffte sie, dass Bill in London die Chance ergreifen würde, eine junge Frau kennenzulernen, die besser zu ihm passte. Bill John durfte seine Entscheidung nicht aus falscher Rücksicht treffen. Ein paar Tage vor der Abreise hatte er ihr plötzlich anvertraut: »Ich kann sie nicht allein lassen!«
»Warum nicht?«, hatte Kate gefragt.
Bill John hatte gezögert. »Sie sagt, wenn ich gehe, bringt sie sich um!«
Kate hatte ihm erklärt, dass eine Drohung keine Basis für eine Ehe sei und dass er sich sein Leben lang Vorwürfe machen würde, wenn er nicht nach London ginge.
»Und mache ich mir etwa keine Vorwürfe, wenn sie sich wirklich etwas antut?«, hatte er eingewandt.
Kate hatte versprochen, auf Christine aufzupassen, und ihn beruhigt. »Sie bringt sich nicht um. Glaube mir!«
Das alles ging Kate wieder durch den Kopf, als sie den Brief noch einmal von vorn zu lesen begann.
»Was schreibt er denn? Sag mir, was er schreibt!«, forderte Christine ungeduldig. Dass sie selber erst gestern einen eigenen Brief von ihm erhalten hatte, schien sie nicht daran zu hindern, Kate beim Lesen zu stören. Er schrieb voller Lebenslust, und Kate musste öfter schmunzeln. Vor allem an der Stelle, an der er von einer bildhübschen Kommilitonin aus Christchurch schwärmte. Doch erneut erstarrte sie bei den folgen Zeilen:
Ich glaube, ich habe Walter gesehen, aber als ich auf ihn zueilen wollte, wechselte er die Straßenseite und verschwand in der Menge. Er war es bestimmt. Ich würde ihn unter Tausenden erkennen. Bei ihm war eine Frau, die einen Kinderwagen schob. Schade, ich hätte ihn zu gern gefragt, warum er uns verlassen hat.
Kate versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen, aber schon fragte
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