Der Fluch der Maorifrau
helfen.«
Kate atmete tief durch. Musste sich denn alles wiederholen? Konnte das Glück denn nie von Dauer sein? Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie spürte sie nicht. Eine unermessliche Kälte hatte von ihr Besitz ergriffen, und alles, was sie empfand, war eine grenzenlose Furcht. Ich werde mein geliebtes Kind verlieren! Kein anderer Gedanke hatte Platz in ihrem Kopf.
»Dein Entschluss steht fest?«, flüsterte sie schließlich.
Er nickte. »Ich bringe es nicht über mich, es Christine zu sagen. Sie ist so labil, dass mein Entschluss sie bestimmt in tiefste Verzweiflung stürzen wird. Kannst du es ihr nicht schonend beibringen, wenn es so weit ist?«
Kate schnappte nach Luft. »Nein, das musst du ihr schon selber sagen.«
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her, bis Bill verzweifelt ausstieß: »Du hast recht, Mutter, ich müsste es ihr selber sagen, aber Christine erwartet ein Kind, und ich weiß nicht, ob sie mich gehen lässt. Sie kann doch nicht allein sein. Sie hat so viele Ängste. Und wenn ich es ihr sage, dann kann ich nicht gehen, aber es ist meine verdammte Pflicht. Bitte, Ma, versprich mir, dass du auf sie aufpasst!«
Kate blieb abrupt stehen und sah ihren Sohn bestürzt an. »Sie bekommt ein Kind? Habt ihr deswegen geheiratet?«
Bill rang nach den passenden Worten. »Ja, nein, also, du weißt doch, ich liebe sie natürlich, aber ich empfinde auch eine gewisse Verpflichtung. Ich bin ihr Ein und Alles. Das hat sie mir in all ihren Briefen zu verstehen gegeben. Ich hätte niemals eine andere heiraten können. Ich hätte mich ewig schuldig gefühlt, und jetzt gibt es keinen Weg zurück. Für sie waren wir einander versprochen, seit wir uns nach meiner Rückkehr aus London das erste Mal geliebt haben.«
Tritt er deshalb die Flucht nach Europa an, weil er insgeheim nicht von dieser Verbindung überzeugt ist?, fragte Kate sich verzweifelt. Sie würde es nie erfahren. »Gut, ich werde es ihr sagen, wenn du weg bist«, versprach sie seufzend.
»Du bist die wunderbarste Mutter, die man sich nur wünschen kann«, erklärte Bill John voller Dankbarkeit und zog sie in die Arme.
In dieser und in vielen folgenden Nächten saß Kate schlaflos auf der Veranda und starrte in den sternenklaren Himmel, der ihr leer und unergründlich erschien. Und immer wieder endete alles in einem Gedanken: Er darf nicht nach Europa gehen! Doch so sehr sie auch auf ihn einredete, er blieb bei seinem Entschluss. »Ich lasse meine Freunde nicht allein gehen!« Gegen das Argument war Kate machtlos. Nun blieb ihr nur noch die Hoffnung, dass dieser Krieg zu Ende sein möge, bevor sein langer Arm nach den Söhnen Neuseelands greifen konnte.
Dunedin, April bis Mai 1941
An einem stürmischen Tag Anfang April 1941 verließ Bill John seine Heimatstadt. Es stand zu befürchten, dass deutsche Truppen Kreta angreifen würden, und die Briten waren dankbar über jeden neuseeländischen Freiwilligen.
Kate hatte ihn angefleht, wenigstens die Geburt seines Kindes abzuwarten, aber er hatte erklärt, dass er jetzt gebraucht werde und sein Kind noch ein ganzes langes Leben lang sehen könne.
Nun begleitete sie ihn zum Zug. Christine vermutete ihren Mann auf einer Wanderung zum Mount Cook, zumal seine beiden Freunde, Jo und Burt, mit ihm aufgebrochen waren.
Immer wieder umarmte Kate ihren Sohn, und trotz ihrer guten Vorsätze, ihm beim Abschied keine Szene zu machen, brach sie in Tränen aus und schluchzte: »Bitte, geh nicht!«
Bill John befreite sich vorsichtig aus ihrer Umklammerung, strahlte seine Mutter zuversichtlich an. Er schwor, dass ihm nichts zustoßen werde, und kletterte in den Wagen. Als er Kate aus dem Abteilfenster zuwinkte, konnte sie ihn nur schemenhaft erahnen. Ihre Augen waren vor Tränen blind. Schon setzte sich der Zug in Bewegung, und sie schluchzte laut auf. Jetzt erst bemerkte sie die vielen weinenden Frauen auf dem Bahnsteig. Sie war nicht die Einzige, die vor Sorge um ihr Kind oder ihren Mann verging. Das nahm ihr zwar nichts von ihrer Verzweiflung, schenkte ihr jedoch ein klein wenig Trost.
Kate sah dem Zug nach, bis er nur noch ein ferner Punkt am Horizont war. Ihr war übel vor Angst. Angst um ihren Sohn, aber auch Angst um Christine. Wie würde ihre Schwiegertochter die Nachricht aufnehmen? Schweren Herzens machte Kate sich auf in die Princes Street, wo die kleine Familie inzwischen allein lebte.
Christine war so blass und schwach, als sie ihr die Tür öffnete, dass Kate versucht war,
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