Der Fluch der Maorifrau
doch sozusagen ein Freund Ihrer Familie.« Der anzügliche Unterton war unüberhörbar gewesen.
»Sie ist bildhübsch, habe ich mir sagen lassen. Sagenhaft schön sogar!«, hatte Anna geantwortet und sich an Emily Browns verblüfftem Gesicht geweidet.
Die aber hatte ihre Neugier nicht mehr zügeln können. »Und, reisen Sie zur Hochzeit im Februar?«, wollte sie wissen.
»Sicher, denn es soll schließlich ein rauschendes Fest werden, das man in Wellington noch nicht gesehen hat«, hatte Anna übertrieben schwärmerisch erwidert und war geschäftig davongerauscht.
An das Gespräch musste Anna an diesem Januartag denken, während sie nur mühsam den Würgereiz unterdrücken konnte. Was Emily Brown wohl erst sagen würde, wenn sie wüsste, dass ich ein Kind von John McDowell erwarte!, überlegte Anna. Zunächst hatte sie ihre Übelkeit auf ein Stück Lammbraten geschoben, das wohl nicht mehr ganz frisch gewesen war. Das Ziehen in ihrer Brust und das Ausbleiben der Regel hatte sie allerdings nicht mehr damit erklären können. Inzwischen sah sie der Wahrheit schonungslos ins Auge, und sie kam aus dem Grübeln gar nicht mehr heraus. Unter dem Vorwand eines magenbedingten Unwohlseins hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Sie war froh, dass Klara nicht im Haus war, sondern in Wellington bei John und Timothy, wo sie bis zur Hochzeit bleiben würde. Ihre Tochter war eine so gute Schülerin, dass man ihr den Aufenthalt problemlos über die Ferien hinaus gestattet hatte.
In der Hand hielt Anna einen Brief ihrer Tochter, und immer wieder las sie verzweifelt den Passus: Lucille ist ein Schatz. Sie hat sich immer eine Tochter gewünscht und kümmert sich ganz lieb um mich!
Annas Übelkeit verschlimmerte sich nur noch, als sie erkannte, dass sie dieser Lucille ein unglaubliches Leid zufügen würde, denn sie sah keinen anderen Ausweg, als John von diesem Kind zu erzählen. Sie musste sich scheiden lassen und den Antrag, den er ihr im letzten Jahr gemacht hatte, annehmen. Dieses kleine Wesen, das da in ihr heranwuchs, duldete keine andere Lösung. Sie würde es nicht übers Herz bringen, in Christians Bett zurückzukehren, um ihn glauben zu machen, das Kind wäre von ihm. Wahrscheinlich wäre er vor Freude außer Rand und Band und würde nicht nachrechnen.
Allein bei dem Gedanken schüttelte es Anna. Sie konnte ja nicht einmal mehr mit ihm bei Tisch sitzen, so sehr widerte sie es an, wenn er getrunken hatte und immer hemmungsloser obszönes Zeug daherredete. Nur in Klaras Gegenwart riss er sich zusammen. Dann war er der beste Vater, den ein Kind sich vorstellen konnte.
Anna wusste auch schon, wie sie es John mitteilen würde. Einen Brief hatte sie bereits angefangen, aber es fehlten ihr noch die rechten Worte. Immer wieder verwarf sie das, was sie niedergeschrieben hatte. Vielleicht sollte sie gar nicht durch die Blume sprechen, sondern offen schreiben, was geschehen war. Seufzend griff sie zu einem leeren Blatt und begann noch einmal.
»Lieber John,
unsere Nacht in St Clair ist nicht folgenlos geblieben. Ich trage unser Kind unter dem Herzen. Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als dass ich deinen Antrag nun immer noch annehmen dürfte. Wenn du aber Lucille heiraten willst, dann werde ich dir keine Probleme machen. Christian werde ich in jedem Fall verlassen ...«
Stöhnend legte Anna den Brief aus der Hand. Sollte sie das Thema Lucille überhaupt ansprechen? Tief in ihrem Herzen wusste sie doch, dass er nicht eine Sekunde zögern würde, sich zu ihr und dem Kind zu bekennen. Plötzlich war sie so entsetzlich müde. Morgen muss ich den Brief endlich abschicken, dachte sie, damit er noch rechtzeitig vor der Hochzeit eintrifft.
Als sich erneut Mitgefühl mir jener Lucille, die sie bislang nur aus Erzählungen kannte, einstellen wollte, legte sie sich sanft die Hand auf ihren Bauch und versuchte an etwas Schönes zu denken. Das fiel ihr nicht besonders schwer. Schon sah sie Klara und Timothy mit dem Kleinen, einem blonden Wildfang wie Timothy damals, im Garten umhertollen, während John von der Arbeit heimkam - ein Bild, das ihr Herz erwärmte: Liebevoll streichelt er ihr über das Haar und flüstert: »Ob es dieses Mal ein Mädchen wird?« Sie würde noch ein weiteres Kind mit John bekommen. Dann hätte sie endlich eine große Familie, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Mit diesem Gedanken schlief Anna glücklich ein.
Sie erwachte von lautem Gepolter und unflätigem Geschrei. »Ich bin ein Mann. Ein
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