Der Fluch der Maorifrau
sie mit bebender Stimme.
Der Mann schwieg und stierte auf das Bild.
Wenn er meine Frage verneint, ist der Albtraum zu Ende, durchfuhr es Sophie. Was würde ich darum geben, wenn ich Emma fragen könnte: Was hast du dir bloß dabei gedacht? Sophie ließ den Detektiv nicht aus den Augen. Sie hoffte darauf, dass gleich die erlösenden Worte fallen würden: Sie ist es nicht! Das ist nicht Ihre Mutter. Ich kenne die Frau nicht!
»Was für eine aparte Frau sie doch gewesen ist!«
Das ernüchterte Sophie auf der Stelle. »Ist das die Frau, die bei Ihnen gewesen ist und der sie nach Ocean Grove gefolgt sind?«
»Ich glaube schon«, erwiderte er zögernd.
»Was heißt, Sie glauben?«
Der Mann räusperte sich verlegen. »Sehen Sie, diese Frau auf dem Foto ist überdurchschnittlich attraktiv, gepflegt und elegant, wenn Sie verstehen, was ich meine. Eine echte Lady eben!«
Sophie nickte ungeduldig. Natürlich. Emma war immer eine auffällig damenhafte Erscheinung gewesen.
»Tja, und die Frau, die mich aufgesucht hat, war ein völlig anderer Typ. Sie hatte lange graue Haare und trug ein Holzfällerhemd und Jeans; sie war eher so ein altersloses Naturmädchen.«
»Ein Naturmädchen?«, wiederholte Sophie ungläubig.
»Aber, wenn man davon mal absieht, ist sie es. Die Augen, der Mund.«
»Hat Sie Ihnen ihren Namen genannt?«
»Ja, sie hat sich als Emma McLean vorgestellt.«
»Emma McLean?« Sophie stand der Schock ins Gesicht geschrieben. »Das ist doch verrückt!«, widersprach sie energisch.
»Das habe ich auch gedacht, als ich mir dann ihren Pass angesehen habe«, bestätigte der Detektiv nun eifrig.
»Ihren Pass?«
Er stöhnte auf. »Die Lady bat, sich mal die Hände waschen zu dürfen, aber sie hat ihre Handtasche auf dem Stuhl stehen lassen. Und da sie mir in ihrem ganzen Auftreten etwas verdächtig vorkam und ich nicht ausschließen konnte, dass sie zu den geistig Verwirrten gehört, die unsereinen nicht selten mit irren Geschichten in Trapp halten und keinen Cent auf der Naht haben, ja, da habe ich vorsichtshalber in ihrer Brieftasche nachgesehen. Ich war doppelt überrascht. Sie hatte einen deutschen Pass bei sich, demzufolge sie Emma de Jong hieß. Darüber hinaus habe ich einen Presseausweis gefunden, der auf den Namen Emma Wortemann ausgestellt war. Eine Spionin?, habe ich mich gefragt. Egal, Hauptsache keine durchgeknallte Spinnerin! Sie hat mein Schnüffeln nicht bemerkt, denn ich hatte alles wieder in ihrer Handtasche verschwinden lassen, bevor sie zurückkehrte. Bin schließlich Profi!«
Sophie war bei seinen Worten in sich zusammengesunken. Keine Frage. Es war Emma gewesen! Sie sollte es endlich einsehen. »Und warum haben Sie meine Mutter für eine Spinnerin gehalten? Sie hat Ihnen doch gar nicht viel erzählt, sondern wollte Sie doch erst in Ocean Grove in alles einweihen, oder?«
»Weil sie wortwörtlich zu mir sagte: ›Sie müssen sich beeilen, den Mann zu suchen. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Sie sollen es wissen. Alle beide. Damit der Fluch, der mir meinen Mann genommen hat, nicht auch noch mein Kind nimmt.‹«
In diesem Augenblick war es wieder da. Jenes unbestimmte Angstgefühl, das sie schon auf dem Hinflug beschlichen hatte. Der Fluch und dieser Thomas Holden. Es musste einen Zusammenhang zwischen ihnen geben.
»Finden Sie diesen Mann. Bitte!«, flehte Sophie den Detektiv an und versprach: »Sobald ich mehr Informationen habe, gebe ich ihnen mehr, aber fangen Sie schon einmal an. Selbst, wenn er seinen Namen geändert hat, er müsste doch zu finden sein, oder?« Mit diesen Worten reichte sie Wilson zweihundert Neuseelanddollar und raunte: »Ist nur der Vorschuss! Bei Erfolg verdreifache ich den Preis, aber Sie müssen sich beeilen!« Mit weichen Knien verließ sie das Büro des Detektivs.
In einem Park suchte Sophie sich eine Bank im Schatten. Sie fühlte sich fast wie an einem Hochsommertag im Hamburger Stadtpark, nur die Palmen, die gab es dort nicht.
Ungeduldig holte sie Emmas Aufzeichnungen hervor und überflog sie fieberhaft nach dem Namen Holden. Keiner konnte von ihr verlangen, dass sie noch länger wartete. Doch so sehr sie auch danach suchte, er tauchte nirgendwo auf.
Dabei bemühte sich Sophie, nicht gegen den Willen ihrer Mutter zu handeln und etwas von ihrem Manuskript wirklich zu lesen. Das gelang ihr bis auf die allerletzte Seite. Dahinter waren merkwürdigerweise nur noch leere Blätter. An die hundert, schätzte Sophie. Die letzte beschriebene Seite war zu
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