Der Fluch der Maorifrau
Unpässlichkeit leiden. In Dunedin wussten die Herren der Handelsniederlassung, was das zu bedeuten hatte. Um dem von ihnen hoch geschätzten Abgeordneten eine Gefälligkeit zu erweisen, würden sie das aber in Kauf nehmen. Das jedenfalls versicherte John Anna, bevor er besorgt hinzusetzte: »Wenn es gar nicht mehr geht, dann kommst du zu uns nach Wellington. Versprichst du mir das?«
Anna blieb ihm eine Antwort schuldig. Klara erzählte sie, dass der Vater an einem Fieber leide und es besser sei, wenn sie noch ein paar Tage in der kleinen Burg bliebe.
Es waren harte Tage für Anna. Sie suchte täglich alle Verstecke ab, in denen er möglicherweise seinen Whiskey gelagert haben konnte. Und immer wieder fand sie eine angebrochene Flasche. Sie ekelte sich zutiefst vor dem ungepflegten Säufer, der in seinem Bett dahinvegetierte. Und doch kämpfte sie unermüdlich weiter. Irgendwann muss ihm der Vorrat doch ausgehen, hoffte sie, doch langsam waren ihre Kräfte erschöpft. Sie hatte soeben eine halbleere Flasche in seinem Stiefel gefunden.
»Sie müssen sich hinlegen«, mahnte Paula, als Anna mit schwarzen Rändern unter den Augen in die Küche trat.
»Ich habe schon wieder eine Flasche gefunden«, stöhnte Anna. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. Auf dem Tisch lag ein Brief.
»Der wurde schon vorgestern für Sie abgegeben, aber ich habe nicht mehr daran gedacht bei allem, was hier vor sich geht«, bemerkte Paula entschuldigend.
Anna nickte und öffnete zögernd den Brief. Melanie McLean teilte ihr mit, dass sie sich am heutigen Nachmittag bei Mauren Clark treffen würden. Anna stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht weiter, doch allein die Vorstellung, öffentlich zuzugeben, dass ihr Mann ein Säufer war. Unvorstellbar! Sie nahm den Brief an sich in der festen Absicht, ihn zu vernichten. Dann sah sie noch einmal nach Christian. Wie ein sabberndes Kleinkind mit dem Gesicht eines uralten Mannes lag er da und schnarchte. Anna fühlte den Brief in ihrer Hand und wusste nun, dass sie es wenigstens versuchen musste.
Das Gebäude in der Lawson Street war das prächtigste weit und breit. Eine Hausangestellte öffnete Anna, die schon befürchtete, sich in der Tür geirrt zu haben. So vornehm war das alles.
Doch da trat ihr schon mit ausgebreiteten Armen Melanie McLean entgegen. »Wie schön, dass Sie gekommen sind! Ich habe das so gehofft.«
Anna ließ sich unterhaken und zu dem Salon führen, in dem bereits einige Damen um einen Esstisch versammelt waren, Tee tranken und plauderten.
»Das ist Anna Peters, von der ich euch bereits erzählt habe.«
Anna errötete.
»Setzen Sie sich zu uns!«, ermunterte eine ältere Dame in einem strengen schwarzen Kleid den neuen Gast. »Ich bin Mauren Clark. Herzlich willkommen in meinem Hause! Mein Mann - Gott habe ihn selig - hat es als Goldgräber oben in den Bergen zu einigem Reichtum gebracht, doch als er mich aus England holte, da war er schon ein Wrack. Ein Jahr hat er noch gelebt, und ich bin hiergeblieben. Ich hätte den Lieben daheim natürlich weismachen können, das Fieber hätte ihn dahingerafft, aber ich wollte in seiner Nähe bleiben. Und dann lernte ich eines Tages Gwen kennen, die ein ähnliches Schicksal ereilt hatte. Die wiederum war eine Freundin von Christine.« Mauren deutete auf eine hagere, hochgewachsene Frau, die Anna ermutigend zulächelte. »Und so begannen wir, uns regelmäßig zu treffen und zu beten.«
»Keine Angst, liebe Anna, bei uns spricht jede ganz frei heraus über das Laster der Männer«, mischte sich nun Melanie ein. »Aber wir beten nicht nur. Nein, wir helfen auch den tapferen Frauen der Armen mit Essen und Kleidung.«
»Und wir setzen uns für das Wahlrecht der Frauen ein«, ergänzte eine rundliche Matrone mit einem gütigen Gesicht. »Ich bin Gwen. Mein Mann weilt noch unter den Lebenden, aber was soll ich Ihnen sagen? Ein gar armseliges Leben.«
»Nun überfallt die arme Anna doch nicht gleich! Vielleicht hält sie ja gar nichts vom Frauenwahlrecht«, bemerkte Melanie.
»Oh, doch!«, entgegnete Anna rasch. Ich habe nur lange Zeit keinen Gedanken mehr darauf verschwendet, dachte sie. Wie ungewöhnlich diese Runde auch war, Anna fühlte sich bald seltsam geborgen. Sie nahm sich reichlich von dem Tee und den Plätzchen.
»Ich habe euch beim letzten Mal versprochen, meine Geschichte zu erzählen«, sagte Melanie nun. »Wollt ihr sie hören?« Alle nickten.
»Gut!« Sie räusperte sich. »Ich
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