Der Fluch der Maorifrau
Reise!
Rasmus
Anna lag in der folgenden Nacht lange grübelnd wach. Erst im Morgengrauen beschloss sie, sich ihrem Schicksal zu ergeben.
2 . T EIL
K ATE
Je öfter du fragst, wie weit du zu gehen hast,
desto länger erscheint dir die Reise.
Weisheit der Maori
Apia, Samoa, im Februar 1905
Kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag nahm sich Kate McDowell fest vor, nach Neuseeland zurückzukehren, sobald sie alt genug dazu war. Auch wenn sie noch so oft den Satz hören musste: »Das ist hier das Paradies auf Erden!«, war ihr Samoa, wo es nur Sommer, aber keine Winter gab, fremd geblieben.
Außerdem hatte sie nur eine einzige Freundin auf der Insel, Sara, die Tochter einer Samoanerin und eines Briten. Da Sara die Mädchenschule von Papauta besuchte, bekam Kate sie nur selten zu Gesicht. Vor allem jedoch war dies ein Flecken Erde, in dem sie nicht länger Neuseeländerin sein durfte, sondern nun Deutsche sein musste, was Kate ganz und gar nicht behagte.
Doch was pflegte ihre Großmutter stets zu predigen, wenn Kate sich dagegen auflehnte? »Die deutsche Fahne weht über dieser Insel, und damit müssen wir uns wohl oder übel arrangieren. Außerdem liegen deine Wurzeln in Deutschland, mein Kind!«
Das zu akzeptieren fiel Kate äußerst schwer. Sie mochte die deutschen Siedler ebenso wenig wie deren Sprache, obwohl sie diese erstaunlich schnell gelernt hatte.
An jenem Januarabend vor drei Jahren, an dem Großmutter sie vor die vollendete Tatsache gestellt hatte, dass sie Neuseeland verlassen würden, hatte sie ihr ein dickes Buch zum Lernen geschenkt. Fortan hatte Anna jeden Tag diese Sprache mit ihr gepaukt, die in Kates Ohren hart und unnachgiebig klang. Manchmal fragte sie sich, ob Großmutter deshalb so streng geworden war, weil sie aus dem Land stammte, in dem Disziplin und Pünktlichkeit mehr galten als alles andere. Anfangs war sie erschrocken gewesen, wie zackig die Siedler sprachen, aber Großmutter hatte sie ausgelacht. Hier auf Samoa seien die Deutschen doch richtig locker und nicht annähernd so preußisch wie im Mutterland.
Während Kate über all das nachdachte, saß sie auf der Veranda von Grannys Haus in Sogi und ließ den Blick über den Hafen schweifen. Von der Veranda im Oberstock des einfachen Holzhauses hatten sie einen herrlichen Blick über die Reede von Apia. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Malblock, in der Hand hielt sie einen Kohlestift. Mit der anderen wischte sie sich ständig den Schweiß von der Stirn, während sie laut ächzte. Sie konnte sich einfach nicht an das feuchtwarme Klima gewöhnen. Selbst jetzt, am Ende der Regenzeit, wurde es nie kälter als siebenundzwanzig Grad. Das einzig Gute war, dass die Regenschauer manchmal Böen mitbrachten, die kurzfristig Linderung versprachen. Dafür trieben sie das Wasser durch alle Ritzen ins Haus. Das Bettzeug und die Kleidung waren daher ständig klamm. Und wenn die Orkane über Apia brausten, konnte man danach erst einmal alles wieder aufräumen, weil der Wind nicht vor den dünnen Holzwänden der Häuser Halt machte. Der letzte Sturm hatte alle Möbel von der Veranda gefegt und den Wassertank auf dem Dach so zum Überlaufen gebracht, dass das Wasser in Sturzbächen ins Haus gelangt war. Es war nichts mehr trocken geblieben. Aber selbst beim schlimmsten Sturm wurde es nie richtig kühl. Und danach sehnte sich Kate mehr als nach allem anderen.
Gedankenverloren warf sie einen Blick auf ihre Zeichnung. Beinahe perfekt, wie sie die Stimmung des Hafens in der flirrenden Mittagshitze eingefangen hatte. Sie hatte vor etwa einem Jahr aus lauter Langeweile mit dem Malen begonnen, nachdem sie dieser öden deutschen Schule entkommen war. Kate musste unwillkürlich schmunzeln, als sie daran dachte, wie Großmutter ihr beigestanden hatte.
»Du gehst in die deutsche Schule!«, hatte Großmutter nach ihrer Ankunft in Apia zunächst bestimmt. Kate war folgsam gewesen, auch wenn sie den Lehrer Friedhelm Schomberger vom ersten Tag an gehasst hatte, eine Abneigung, die ganz auf Gegenseitigkeit beruhte. Sie fand ihn dumm und ungebildet, er sie vorlaut und widerborstig. Es kam, wie es kommen musste. Eigentlich wunderte Kate sich noch nachträglich, dass sie es zwei Jahre in der Schule ausgehalten hatte.
Kate ballte noch heute die Fäuste bei dem Gedanken an Schombergers hinterhältigen Gesichtsausdruck, als er eines Tages von dem hehren deutschen Wesen schwärmte und missbilligend zum Ausdruck brachte, dass die Neuseeländer keine Kultur
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