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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und
ist doch eine Hure im Herzen.«
    »Das hat sie vielleicht von
ihrer Namensschwester.« Der Augenblick verging langsam, ruhig, in Gedanken.
Dann meinte Ben leise: »Weißt du, er schaut dich an. David schaut dich an.«
Judy riß die Augen auf und starrte vor sich in das trübe Halbdunkel auf der
anderen Seite des Zimmers. Sie sah nichts als die Umrisse von Möbeln und
Pflanzen und die Schatten der Bilder an der Wand. »Warum nimmst du das an?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht
erinnerst du ihn an Sara.« Sie lachte leise auf. »Wohl kaum!«
    »Oh… wer weiß…?«
    »Die Schriftrollen sind jetzt
also zu Ende«, sagte Judy nervös. »Ja, ich denke schon.« Bens abwesender Blick
verschwand, und mit ernstem Gesicht sagte er: »Und ich denke, wir haben eine
Menge gelernt.« Seine Stimme war ausdruckslos, völlig teilnahmslos. »David
liefert den Nachweis für einige Aussprüche Jesu, was wohl jedermann glücklich
machen wird. Auch für ein paar Worte von Simon. Für das Zitat des Jakobus. Für
das Gleichnis vom Hochzeitsfest.«
    »Du scheinst nicht gerade glücklich
darüber zu sein.«
    »Das bin ich auch nicht. Ich
sorge mich nur um David und um das, was in aller Welt ihm zugestoßen ist.« Ben
fing an, seine Faust zu ballen und wieder zu öffnen.
    Judy beobachtete ihn mit
wachsender Sorge. Sie hatte sich an seine unvorhersehbaren Schwankungen gewöhnt
und war imstande, die Anzeichen zu erkennen, die auf einen plötzlichen
Stimmungswechsel hindeuteten. Aber sie mochte es nicht. Diese Unbeständigkeit beunruhigte
und erschreckte sie.
    »Was war das für ein großes
Verbrechen, über das er seinem Sohn berichten wollte? War es die Sache mit
Sara?«
    »Das kann wohl nicht sein. In
Rolle acht sagt er doch, daß der Tag seiner niederträchtigen Tat erst sechzehn
Jahre später kommen sollte. Er meinte nur, daß der Zwischenfall mit Sara
entscheidend dazu beitrug, daß es im Jahr siebzig unserer Zeitrechnung zu
seinem Verbrechen kam.«
    Ben wurde immer erregter.
Judy sah, daß er wieder drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren. »Das
bedeutete, daß die letzte Rolle, diejenige, die wir niemals zu Gesicht bekommen
werden, uns seinen eigentlichen Beweggrund für das Schreiben der Rollen
verraten hätte. Sie hätte wahrscheinlich auch erklärt, wie und warum er bald
sterben mußte, und sechzehn Jahre…«
    »Ben!«
    Er war plötzlich auf den
Beinen. »Ich ertrage das nicht! Ich kann unmöglich weiterleben, ohne den Rest
von Davids Geschichte zu kennen. Es wird mich wahnsinnig machen. Er wird
mich wahnsinnig machen!« Und er deutete auf den unsichtbaren Juden vor ihm.
»Glaubst du, er wird mich jetzt eine Sekunde in Frieden lassen? Sieh ihn dir
nur an! Sieh ihn dir nur an, wie er dort steht und mich anstarrt! Warum spricht
er nicht? Warum rührt er sich nicht von der Stelle?« Bens Stimme wurde laut und
schrill. Sein Körper zitterte heftig. »Herrgott noch mal!« schrie er, »Steh
doch nicht nur so herum! Tu gefälligst etwas!«
    Judy tastete nach Bens Hand
und versuchte ihn wieder hinunterzuziehen. »Bitte, Ben. O Ben, bitte…«
    »Sieh ihn dir nur an! Ich wünschte,
du könntest ihn sehen. Wenn ich ihn nur bekämpfen könnte! Wenn ich nur wüßte,
wie ich an ihn herankomme! Er treibt mich zum Wahnsinn!« Bens Hände ballten
sich zu Fäusten. »Los, du gottverdammter Jude! Du traust dich wohl nicht! Sag
mir, hinter was du eigentlich her bist!« Und in diesem Augenblick wurde Ben
plötzlich still. Er atmete schwer und schwitzte. Seine Augen waren weit
aufgerissen und schienen fast aus den Höhlen zu treten. Die nervösen Bewegungen
seiner Finger hörten auf. Ben war mitten in der Bewegung erstarrt. Judy schaute
sprachlos zu ihm auf.
    Und dann, leise, fast nicht
wahrnehmbar, begann er zu sprechen: »Warte einen Moment… Ich denke, jetzt weiß
ich, was du willst…«

 
    Kapitel Vierzehn
     
     
     
    Hätte man Ben erzählt, daß
dasselbe irgendeinem anderen passierte, so hätte er dem Betreffenden geraten,
sich an einen Psychiater zu wenden. Weil es ihm nun aber selbst widerfuhr, weil
er selbst es erlebte und wirklich fühlte, glaubte er daran.
    Nachdem Judy gegangen war,
rannte er in der Wohnung hin und her wie ein Mensch, der kurz davor ist, zu
explodieren. Er brüllte unzusammenhängendes Zeug, häufig in Jiddisch, schlug
sich mit der Faust in die Handfläche und schleuderte Bücher gegen die Wand.
»Das kann noch nicht das Ende sein!« schrie er völlig außer sich. »Ich habe das
nicht alles durchgemacht, habe

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