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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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um
Selbstfindung mehr. Die Höllenqualen, die Benjamin Messer durchstehen mußte,
die Alpträume und die Tränen und die quälenden Gedanken waren nichts anderes
als die Schmerzen meiner Geburt. Es war notwendig, daß er, daß ich all dies
erduldete, damit ich wiedergeboren werden konnte. All das gehört nun der
Vergangenheit an, meine liebe Judith, denn ich bin jetzt eins mit mir selbst
und mit meiner Persönlichkeit ins reine gekommen. Ich hoffte, du würdest
verstehen.«
    Sie musterte ihn noch ein
wenig länger und näherte sich dann vorsichtig und behutsam der Couch. Während
sie sich auf der äußersten Kante, so weit wie möglich von ihm entfernt,
niederließ, hielt sie fortwährend die Augen auf ihn gerichtet. Endlich flaute
ihre Übelkeit ab, und die Unruhe verebbte. Die erste Erschütterung war vorüber,
und jetzt ließ auch die Bestürzung nach. Statt dessen fühlte sich Judy
unsicher, weil sie nicht wußte, was sie als nächstes tun sollte. Ben streckte
seine Hand aus, als wollte er ein Geschenk überreichen. Judy ergriff sie und
fühlte, wie sie noch ruhiger wurde. Er lächelte ihr beruhigend zu und erweckte
den Anschein von völliger Kontrolle und Selbstvertrauen. Seine Hand war warm
und zart, seine Stimme ermutigend. »Was sich verändert hat, hat sich verändert,
und es gibt keinen Weg zurück. Was gestern war, wird nie wiederkehren. Benjamin
Messer lebt nicht mehr. Ich war nicht glücklich in dem Leben von damals. Aber
in diesem hier bin ich es.« Judy spürte, wie er ihre Hand drückte und sie ein
wenig zu sich hin zog. Zuerst wehrte sie sich, gab dann aber nach und ließ es
zu, daß er sie auf der Couch nahe an sich heranholte. Er hielt sie mit beiden
Armen umschlungen, aber so leicht, als befürchtete er, sie zu zerbrechen, und
er sprach mit gefühlvoller Stimme: »Du kannst mich doch unmöglich als Ben
gemocht haben, denn dieser Ben war ein geplagter Mann. Er war ein Mensch, der
seine Vergangenheit und sein Erbe verleugnete und der immer etwas sein wollte,
was er nicht war. Benjamin Messer war nur eine Seite meiner Persönlichkeit, und
es tut mir leid, daß du gerade diese kennenlernen mußtest. Nun, da ich David
Ben Jona bin…« Er zog sie an sich und drückte ihr Gesicht gegen seinen Hals.
»Doch nun, da ich endlich David Ben Jona bin, kannst du, teure Judith, in
deinem Herzen vielleicht ein wenig Liebe für mich finden.«
     
     
    Als Judy erwachte, lag sie im
Bett. Obgleich sie noch alle Kleider anhatte, war sie zugedeckt, und ihre
Schuhe standen fein säuberlich neben dem Bett. Ein ermutigend heller Tag
flutete durchs Fenster und brachte die noch an der Scheibe hängenden
Regentropfen zum Glitzern. Durch das Geäst der Bäume hindurch konnte sie weiße
Wolken und blauen Himmel erkennen. Und durch die offenstehende Tür hörte Judy,
wie jemand im angrenzenden Zimmer herumhantierte. Ihre Gedanken überschlugen
sich. Obgleich ihr die unheilvollen Ereignisse der letzten Nacht auf Anhieb
wieder einfielen, konnte sie sich nicht daran entsinnen, ins Bett gegangen oder
eingeschlafen zu sein. Das letzte, woran sie sich erinnerte, war, daß sie mit
Ben eng umschlungen auf der Couch gesessen und seiner sanften Stimme gelauscht
hatte, die auf unwiderstehliche Weise von Liebe gesprochen hatte.
    Sie war sich unschlüssig, ob
sie aufstehen sollte. Sie fürchtete sich vor dem, was sie vielleicht im
Nebenzimmer vorfinden würde. Bens Wahnsinn konnte in jede Richtung losbrechen;
seine vorübergehende Festigkeit konnte durch die leichteste Herausforderung ins
Wanken geraten. Doch obwohl es ihr widerstrebte, ihm gegenüberzutreten,
verlangte es sie danach, an seiner Seite zu bleiben und über ihn zu wachen. Sie
steckte in einem unüberwindlichen Zwiespalt der Gefühle: Einerseits verspürte
sie den Drang, aus diesem Irrenhaus zu fliehen; andererseits hegte sie den
Wunsch, Ben zu helfen, die Krise durchzustehen. Sie stand geräuschlos auf und
schlich leise ins Bad, um von ihm nicht gesehen zu werden. Judy versuchte, eine
Entscheidung zu treffen, was sie als nächstes tun sollte.
    Unter der kühlen Dusche
wichen die Erinnerungen an die unheilvolle vorangegangene Nacht einer
analytischen Betrachtungsweise. Als sich ihre Schläfrigkeit verlor und der
Schrecken allmählich nachließ, fühlte Judy sich eher in der Lage, die Situation
zu meistern. Immerhin hatte Ben – in seiner neuen Identität als David – noch
keine Neigung zu Gewalttätigkeiten erkennen lassen. Und wenn er seine
gegenwärtige Ruhe und

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