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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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erblickt hatte, erhellte
sich sein Gesicht zu meiner großen Überraschung, und er kam auf mich zu, als ob
wir Freunde gewesen wären, die lange nichts voneinander gehört hatten. »Seid
gegrüßt, junger Herr!« rief er mir zu und kam mir mit ausgestreckten Armen
entgegen. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. »Vergebt mir, junger
Herr«, entschuldigte er sich. »In meiner Freude, Euch zu sehen, hatte ich ganz
vergessen, welch frommer Jude Ihr seid und daß Euch die Berührung durch einen
Heiden verhaßt ist. Aber, bei den Göttern, ich bin froh, Euch zu sehen!«
    »Warum?«
fragte ich stumpfsinnig.
    »Warum? Weil ich die ganze
Stadt nach Euch abgesucht habe, Meister. Ich bringe Euch gute Nachrichten und
reichlich Gewinn.«
    »Was?« fragte ich, immer noch
begriffsstutzig. »Die Schiffe sind sicher und ohne ein einziges Korn Verlust in
Ostia angekommen. Die Schekel, die Ihr pflanztet, sind tatsächlich zu Sesterzen
gewachsen.«
    Ich war abermals sprachlos.
Salmonides hatte sich also nicht nur getreu an unser Abkommen gehalten, sondern
war überdies auch noch bestrebt, mir mein Geld zu geben. Er hatte daran
gedacht, daß ich vielleicht nochmals bereit wäre, Geld zu verleihen, und so
hatte er alles darangesetzt, mich zu finden. Ich vertraute meine Esel der Obhut
eines Freundes an und begleitete Salmonides in die Straße der Geldverleiher, wo
man ihm auf seine schriftliche Anweisung zweihundert Denare ausbezahlte. Von
dort aus begaben wir uns zu den Geldwechslern beim Tempel, wo die römischen
Münzen unter dem wachsamen Auge meines griechischen Begleiters gewogen, geprüft
und gegen zweihundert syrische Zuzim eingetauscht wurden. Fünf davon gab ich
Salmonides, der sie sogleich mit einem entschuldigenden Achselzucken in
Drachmen umwechselte. Danach kehrten wir in eine Schenke ein, wo wir uns im
Schatten niederließen und über die Wirtschaft des römischen Reiches
diskutierten. Daß ich von solchen Dingen nicht die leiseste Ahnung hatte, war
für Salmonides ganz offensichtlich. Trotzdem war er geduldig mit mir. Er sagte:
»Ihr habt eine seltene Eigenschaft, mein junger Herr, die ein scharfsinniger
Mann wie ich auf Anhieb erkennt. Ihr besitzt eine schnelle Auffassungsgabe und
seid gewandt im Umgang mit Zahlen. Seht selbst, mit welcher Leichtigkeit Ihr
versteht, was ich Euch erkläre. Die meisten Menschen begreifen das nur langsam
und langweilen sich dabei. Doch Ihr interessiert Euch für das, was ich sage,
und könnt es leicht im Gedächtnis behalten. Ihr habt den falschen Beruf
gewählt, mein junger Herr. Anstelle der Thora solltet Ihr besser den Geldhandel
studieren.« So erzählte ich Salmonides, was nach der Nacht meiner Schande
geschehen war, und es überraschte ihn, daß Eleasar so hart gegen mich gewesen
war.
    »Doch Ihr geht auch mit Euch
selbst übermäßig hart ins Gericht. Welcher junge Mann verbringt nicht einmal im
Leben eine solche Nacht? Und das nicht nur einmal, sondern oft. War denn Euer
Verbrechen wirklich so groß – ein kleiner Rausch? Ihr solltet Rom besuchen,
wenn Ihr einmal sehen wollt, was wirkliche Sünde ist.«
    Doch ich hob abwehrend meine
Hand. »Für Juden gelten andere Maßstäbe«, entgegnete ich, »denn wir sind Gottes
auserwähltes Volk. Da wir dem Rest der Welt ein gutes Beispiel geben sollen,
müssen wir eifrig darauf bedacht sein, das Gesetz zu befolgen. Was wären wir
für ein Vorbild, wenn wir uns ebenfalls der Trunkenheit, der Unzucht und
anderen schändlichen Taten hingeben würden?«
    Ich wußte, daß Salmonides an
meinen Worten zweifelte wie so viele Heiden, aber nur deshalb, weil sie noch
nicht daran glauben, daß Gott uns zu den Erben der Welt erkoren hat. Im Laufe
dieses Nachmittags gab ich Salmonides einhundert Zuzim und schloß einen
weiteren Vertrag mit ihm. Diesmal ging es um den Ankauf einer Gerstenernte, die
bald eingebracht werden sollte. Wäre die Ernte ertragreich, würde ich sie mit
Gewinn verkaufen. Sollte sie sich dagegen als dürr erweisen, dann hätte ich
mein Geld verloren. Aus diesem Grund gab ich ihm nur die Hälfte und sparte den
anderen Teil für künftige Notlagen auf. An diesem Abend befragte ich Eleasar
über die Sittlichkeit und Moral meines Gewinns. »Kann diese Art von Verdienst
so ehrbar sein wie das Geld, das man mit seiner Hände Arbeit verdient?« fragte
ich. Doch er erwiderte, daß ich ja auch arbeitete, wenn nicht mit meinen
Händen, so doch mit meinem Geist. Das Geld hätte ich nicht auf unzulässige
Weise verdient. Und ich hätte

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