Der Fluch der Sphinx
Die Einwohner Kurnas wohnten zwischen den Grabstätten der Edlen. Viele Versuche waren schon unternommen worden, um die Dorfbevölkerung umzusiedeln, aber die Leute hatten sich halsstarrig dagegen gewehrt.
Der Bus schlingerte durch eine scharfe Kurve und bog dann an einer Gabelung nach rechts ab. Erica erhielt einen flüchtigen Ausblick auf den Begräbnistempel Sethos’ I. Es gab so viel zu sehen!
Der Übergang zur Wüste war mit einer sehr deutlichen Trennlinie markiert. Eine trostlose Stein- und Sandfläche ohne ein einziges Pflänzchen löste die grünen Zuckerrohrpflanzungen ab. Die Straße verlief bis zu den Bergen erst geradeaus, dann in Schlangenkurven, bis sie in ein Tal mündete, das sich zusehends verengte. Es war beklemmend heiß, wie in einem Backofen. Kein Windhauch linderte die drückende Hitze.
Hinter einem winzigen, im Fels angelegten Wachtposten fuhr der Bus auf einen großen Parkplatz, auf dem bereits zahlreiche andere Busse und Taxis standen. Trotz der Temperatur von rund vierzig Grad wimmelte es nur so von Touristen. Links stand auf einer flachen Erhebung eine Verkaufsbude, die ziemlich flotten Umsatz machte.
Erica kaufte sich zum Schutz gegen die Sonne einen khakifarbenen Hut. Sie konnte noch gar nicht richtig glauben, daß sie nun endlich im Tal der Könige angekommen war, dem Fundort von Tutanchamuns Grab. Das Tal war umgeben von zerklüfteten Bergen, und eine schroffe, dreiseitige Felsspitze, die aussah wie eine natürliche Pyramide, beherrschte die Gegend. Kahle Felswände aus braunem Kalkstein ragten aus dem Tal über die säuberlichen, mit kleinen Steinen gesäumten Wege auf, die vom Parkplatz führten; am Treffpunkt der Fußwege und der Klippen klafften die schwarzen Öffnungen zu den Königsgräbern.
Während die Mehrheit der Fahrgäste aus dem Bus sich um den Verkaufspavillon drängten, um kalte Erfrischungsgetränke zu kaufen, beeilte sich Erica zum Eingang der Grabstätte Sethos’ I. Sie wußte, daß es die größte und bemerkenswerteste im ganzen Tal war, und sie wollte sie zuerst besichtigen und nachschauen, ob sich irgendwo der Name Nenephta finden ließ.
Mit angehaltenem Atem trat sie über die Schwelle in die Vergangenheit ein. Obwohl sie gewußt hatte, daß die Wandmalereien gut erhalten geblieben waren, überraschten sie doch, sobald sie sie mit eigenen Augen sah, ihre leuchtenden Farbtöne. Die Farbe wirkte so frisch, als sei sie erst gestern aufgetragen worden. Langsam schritt sie den Eingangskorridor entlang, dann eine Treppe hinab, immer ihren Blick auf die Wandgemälde gerichtet. Sethos war in der Gesellschaft des gesamten Pantheons ägyptischer Gottheiten dargestellt. An der Decke befanden sich große Abbildungen von Geiern mit stilisiert ausgestreckten Schwingen. Umfangreiche hieroglyphische Texte aus dem Buch der Toten trennten die einzelnen Bilder voneinander.
Erica mußte eine zahlenmäßig starke Gruppe von Touristen vorbeilassen, ehe sie eine Holzbrücke über einen tiefen Felsspalt überqueren konnte. Sie schaute in die tiefe Kluft und fragte sich, ob man sie extra zwecks Abwehr von Grabräubern geschaffen haben mochte. Auf der anderen Seite lag ein von vier robusten Säulen gestützter Laufgang. Danach folgte noch eine Treppe; im Altertum war ihr Zugang versiegelt und sorgfältig verborgen gewesen.
Während sie immer tiefer in das Grab vordrang, staunte Erica über die aufgewandten Anstrengungen, die es gekostet haben mußte, das alles mit menschlicher Kraft aus dem Fels zu hauen. Nachdem sie die vierte Treppe hinabgestiegen war und sich einige hundert Meter weit im Innern des Berges befand, fiel ihr auf, daß es sich hier merklich schwerer atmen ließ. Sie fragte sich,wie wohl im Altertum den Arbeitern, die sich hier abgeplagt hatten, zumute gewesen sein mußte. Eine Belüftung gab es nicht, nur der endlose Strom glotzäugiger Touristen hielt die Luft in fortwährender Bewegung, und der niedrige Sauerstoffgehalt bereitete Erica ein Gefühl des Erstickens. Sie litt zwar nicht an Klaustrophobie, fand aber wenig Gefallen an engen, geschlossenen Räumen, und infolgedessen mußte sie ständig ihr Unbehagen bekämpfen.
Als sie in der Grabkammer angelangt war, versuchte Erica nicht mehr an ihre Atemnot zu denken und verdrehte sich schier den Hals, um die astronomischen Motive an der gewölbten Decke der Räumlichkeit zu betrachten. Sie stieß auch auf einen Tunnel, der vor nicht allzu langer Zeit von Leuten gegraben worden war, die die Lage zusätzlicher
Weitere Kostenlose Bücher