Der Fluch der Sphinx
Geheimkammern zu kennen glaubten. Niemand hatte etwas entdeckt.
Allmählich begannen sich bei Erica zwischen den Felswänden der Grabstätte Angstzustände bemerkbar zu machen, aber sie beschloß trotzdem, sich eine kleine Seitenkammer mit einer berühmten Darstellung der Himmelsgöttin Nut in Gestalt einer Kuh anzuschauen. Sie schob sich durchs Gedränge der Touristen zum Zugang, aber als sie in die Kammer kam, stellte sie fest, daß der Raum praktisch vollgestopft war mit Touristen, und daraufhin verzichtete sie auf den Anblick Nuts. Sie drehte sich um und prallte gegen einen Mann, der nach ihr die Seitenkammer zu betreten beabsichtigte.
»Entschuldigung«, sagte Erica. Der Mann lächelte breit, ehe er sich ebenfalls umdrehte und in die große Grabkammer zurückkehrte. Eine weitere Gruppe von Touristen kam herein, und Erica sah sich wider Willen in die kleine Seitenkammer abgedrängt. Verzweifelt bemühte sie sich, Ruhe zu bewahren, aber der Mann, derihr in den Weg geraten war, hatte sie verstört. Sie hatte ihn schon einmal gesehen – schwarzes Haar, schwarzer Anzug, ein schiefes Lächeln, das einen zugespitzt abgebrochenen Schneidezahn enthüllte und an das sie sich noch vom Ägyptischen Museum in Kairo entsann.
Erica wußte nicht, warum der Mann sie so beunruhigte, denn sie war sich dessen bewußt, daß sich Touristen vielfach bei der Besichtigung derselben Sehenswürdigkeiten wieder trafen. Sie wußte, daß sie sich albern benahm und ihre Furcht lediglich aus der Kombination der aufregenden Ereignisse in den letzten Tagen sowie der stickig heißen Atmosphäre im Innern der Grabstätte resultierte. Erica legte sich den Gurt ihrer Tasche höher über die Schulter und erkämpfte sich einen Weg hinaus in die Grabkammer. Der Mann war nirgends zu sehen. Eine kurze Treppe führte in den oberen Teil der Grabstätte und zum Ausgang. Erica erklomm die Stufen, und unterwegs ließ sie ihren Blick umherstreifen. Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht Hals über Kopf davonzurennen. Dann blieb sie ruckartig stehen. Links von ihr hatte sich der Mann hinter eine viereckige Säule blitzartig versteckt. Sie sah ihn nur flüchtig, aber nun war Erica davon überzeugt, daß sie sich nichts zurechtspann, daß der Mann sich verdächtig verhielt. Er schlich ihr nach. Entschlossen stieg sie die restlichen Stufen hinauf und trat vor eine Säule. Der Raum besaß vier solcher Säulen, und an jeder von ihnen war Sethos I. an sämtlichen Seitenflächen vor einem der ägyptischen Götter in lebensgroßem Relief abgebildet.
Erica wartete mit klopfendem Herzen, erinnerte sich mit Widerwillen daran, wie in den vergangenen Tagen rings um sie immer wieder offene Gewalt ausgebrochen war. Sie hatte keinerlei Ahnung, womit sie nun rechnen mußte. Da zeigte sich der Mann von neuem. Er schrittum die benachbarte Säule und betrachtete dann die riesige Begräbnisdarstellung an der Wand. Seine Lippen waren nur leicht geteilt, aber Erica erkannte dennoch, daß rechts ein Schneidezahn spitz zulief. Er ging vorüber, ohne sie anzusehen.
Sobald ihre Füße ihr wieder gehorchten, schritt Erica energisch aus, dann lief sie, eilte auf dem Weg, den sie gekommen war, zurück durch die Korridore und über die Treppen, bis sie wieder in das grelle Sonnenlicht hinausstürzte. Als sie sich im Freien befand, verflüchtigte sich ihre Panik, und sie kam sich ziemlich albern vor. Ihre Überzeugung von den schlechten Absichten des Fremden schien ein reiner Verfolgungswahn von ihr zu sein. Sie blickte sich um, kehrte jedoch nicht ins Grab Sethos’ I. zurück. Sie beschloß, an einem anderen Tag nach dem Namen Nenephta zu suchen.
Die Mittagsstunde hatte geschlagen, und am Verkaufspavillon sowie im Rasthaus drängten sich die Menschen. Daher war Tutanchamuns vergleichsweise bescheidenes Grab fast menschenleer. Vorher hatte am Eingang noch eine Schlange Wartender gestanden. Erica wollte die gegenwärtige Pausenstimmung der Touristenmassen nutzen und stieg die berühmten sechzehn Stufen zum Eingang hinunter. Unmittelbar vor dem Eintreten spähte sie nochmals hinüber zum Grab Sethos’ I. Sie sah niemanden. Während sie den Gang entlangstrebte, dachte sie über die Ironie des Schicksals nach, daß es das kleinste Grab und obendrein noch das des unbedeutendsten Pharao des Neuen Reiches war, das man als einziges einigermaßen unbeschädigt vorgefunden hatte. Und selbst in Tutanchamuns Grab hatte man bereits im Altertum zweimal eingebrochen.
Als sie die Schwelle zur
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