Der Fluch der Sphinx
umgekehrter Richtung gehen könnte. Sie konnte ins Tal der Könige fahren, dann den Pfad nach Kurna nehmen, während ihr Taxi sie unterhalb der Ortschaft erwartete. Aber dann sah sie die Lächerlichkeit desTricks ein. Der einzige Grund, warum Khalifa ihr nicht ins Tal der Könige gefolgt war, mußte wohl darin gelegen haben, daß er von ihrer Wanderung wußte und sich die Mühe und die Hitze ersparen wollte. Das war kein Mann, der sich zum Narren halten ließ. Beabsichtigte sie ernsthaft, Khalifa abzuhängen, dann mußte es in einer Menschenmenge geschehen.
Als sie von neuem auf die Uhr sah, hatte sie eine Idee. Inzwischen war es fast neunzehn Uhr geworden. Um neunzehn Uhr dreißig fuhr ein Schnellzug nach Kairo, eben jener, den sie am vorherigen Abend genommen hatte. Der Bahnsteig, der gesamte Bahnhof war voller Menschen gewesen. Da kam ihr eine Erleuchtung! Der einzige Nachteil war, daß sie dadurch nicht zu Yvon konnte. Vielleicht fand sich aber noch eine Gelegenheit, ihn vom Bahnhof aus anzurufen. Erica winkte eine Droschke heran.
Erwartungsgemäß wimmelte es im Bahnhof von Reisenden, und sie konnte sich nur mit Mühe zu den Fahrkartenschaltern durchkämpfen. Sie kam an einem riesigen Stapel von Käfigen aus Weidenruten vorüber, in denen sich Küken tummelten und glucksten. An eine Säule waren mehrere Ziegen und Schafe angebunden, und ihr klägliches Blöken und Meckern vermengte sich mit dem Krawall der vielen Stimmen, die durch die staubige Bahnhofshalle schallten. Erica kaufte eine einfache Fahrkarte der ersten Klasse nach Nag Hamdi. Es war neunzehn Uhr siebzehn.
Auf dem Bahnsteig voranzukommen, war noch strapaziöser als der Erwerb der Fahrkarte. Erica sah sich nicht um. Sie zwängte und drängte sich durch laut schnatternde Familienverbände, bis sie die Wagen der ersten Klasse erreichte, wo vergleichsweise wenig Andrang herrschte. Sie stieg in Wagen zwei, ließ den Schaffner ihreFahrkarte entwerten. Jetzt war es neunzehn Uhr dreiundzwanzig. Erica begab sich direkt zur Toilette. Sie war zu und von innen verschlossen. Ebenso die Toilette gegenüber. Erica vergeudete keine Sekunde und eilte in den Wagen drei, hastete den Gang hinab. Eine Toilette war frei, und sie huschte hinein. Hinter sich schloß sie die Tür ab und versuchte, so wenig wie möglich von der verpesteten Luft einzuatmen. Erica öffnete den Bund ihrer baumwollenen Hose und schlüpfte heraus. Dann zog sie die Jeans an und rumpelte dabei mit dem Ellbogen gegen das Waschbecken, als sie sich hineinwand. Es war neunzehn Uhr neunundzwanzig. Sie vernahm von draußen einen Pfiff.
In nahezu panikartiger Hast streifte sie eine blaue Bluse über, kämmte ihr volles Haar nach oben und stülpte den Khakihut darüber. Sie betrachtete sich im Spiegel und hoffte, ihr Aussehen genügend verändert zu haben. Dann verließ sie die Toilette und durchquerte buchstäblich im Dauerlauf den Gang bis zum nächsten Wagen. Er gehörte zur zweiten Klasse und war voller. Die meisten Fahrgäste saßen noch nicht, sondern waren dabei, ihr Gepäck in den Gepäcknetzen über ihren Köpfen zu verstauen.
Erica eilte vom einen zum nächsten Wagen. Als sie in die dritte Klasse geriet, sah sie zwischen den Bänken die Küken und auch die Ziegen und Schafe wieder. Es war unmöglich, den Weg fortzusetzen. Sie schaute hinaus, um festzustellen, ob das Gedränge auf dem Bahnsteig in diesem Abschnitt des Zuges dicht genug sei. Es war neunzehn Uhr zweiunddreißig. Der Zug ruckte an und begann bereits zu rollen, als Erica auf den Bahnsteig sprang. Das Getöse des Stimmengewirrs verstärkte sich, viele Leute fingen an, zu rufen und zu winken. Erica kehrte vom Bahnsteig zurück indie Bahnhofshalle und schaute sich dort erstmals wieder nach Khalifa um.
Das Gedränge begann sich zu lichten. Erica ließ sich vom Strom der Menschen auf die Straße hinaustreiben. Sobald sie das Bahnhofsgebäude hinter sich hatte, lief sie zu einem kleinen Café hinüber und setzte sich an einen Tisch mit Ausblick auf den Bahnhof. Sie bestellte einen Kaffee und behielt den Bahnhofseingang im Auge.
Sie brauchte nicht lange zu warten. Die Passanten schroff zur Seite stoßend, kam Khalifa aus dem Bahnhof gestürzt. Selbst aus der Entfernung konnte Erica seine Wut in seinem Gesicht lesen. Dann sprang er in ein Taxi und verschwand über die Shari el Mahatta in der Richtung zum Nil. Erica trank den Kaffee aus. Die Sonne sank, und allmählich begann es zu dämmern. Sie war spät dran. Sie raffte ihre
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