Der Fluch der Sphinx
Flämmchens den aufgewirbelten Staub durchdrang, sah Erica, daß sie sich in einer Katakombe mit kahlen, schmucklosen Wänden und voller teilweise eingewickelter Mumien befand. Die Leichname waren teilweise ihrer Hüllen entledigt und sämtlicher Wertgegenstände beraubt worden, und die Reste lagen rücksichtslos verstreut herum.
Erica drehte sich langsam auf der Stelle und erkannte, daß die Decke des Gewölbes zum Teil eingestürzt war;in einer Ecke erspähte sie eine niedrige, finstere Türöffnung. Sie hob ihre Segeltuchtasche auf und stieg durch die kniehohen Trümmer. Das Zündholz verbrannte ihr die Fingerkuppen, und sie schüttelte es aus, tastete mit den Armen nach der Mauer, dann nach dem Durchlaß. Sie betrat den benachbarten Raum. Als sie von neuem ein Streichholz anzündete, konnte sie erkennen, daß sie in einer Räumlichkeit stand, die einen gleichartigen grotesken Anblick bot. Eine Nische in der Wand war ganz mit abgetrennten mumifizierten Köpfen angefüllt. Auch hier war das Deckengewölbe eingestürzt.
In der Wand gegenüber sah Erica zwei weit auseinanderliegende Türöffnungen. Vorsichtig begab sich Erica in die Mitte des Raumes, hielt das brennende Streichholz vor sich ausgestreckt; sie bemerkte, daß der Luftzug aus dem schmaleren Durchgang kam. Das Zündholz erlosch, und sie strebte mit tastenden Armen hinüber.
Plötzlich entstand ein gewaltiger Lärm. Ein Einsturz! Erica warf sich vorwärts an die Wand, spürte Bruchstücke ihre Haare und Schultern streifen.
Aber nichts krachte herab. Statt dessen belebte immer stärkerer Aufruhr die Luft; dicke Staubwolken und schrille Kreischlaute wurden laut. Dann landete etwas auf Ericas Schulter. Es lebte und hatte kleine Krallen. Als sie das Tier mit der Hand von ihrer Schulter fegte, bemerkte sie Schwingen. Sie hatte es nicht mit einem Einsturz zu tun, sondern mit zahllosen aufgescheuchten Fledermäusen. Sie schützte ihren Kopf mit einem Arm und duckte sich an der Wand nieder, versuchte zu atmen, so gut es noch ging. Nach und nach beruhigten sich die Fledermäuse, und sie konnte den nächsten Raum aufsuchen.
Allmählich begriff Erica, daß sie in einen wahren Irrgarten von Grabstätten geraten war. Es war der Friedhofder einfachen Bevölkerung des alten Theben; beim fortlaufenden Ausbau der Katakomben im Innern des Berges hatte man ein Labyrinth geschaffen, das Millionen von Toten Platz gewähren konnte. Manchmal waren dabei unbeabsichtigt Durchbrüche zu anderen Grüften entstanden, in diesem Fall zum Grab des Ahmose, in das man Erica eingesperrt hatte. Die Verbindung war leicht zugegipst und dann vergessen worden.
Erica wanderte weiter. Obwohl ihr die Gegenwart der Fledermäuse zuwider war, bekam sie dadurch aber wieder neuen Mut. Es mußte einen Durchgang nach draußen geben. Zwischendurch versuchte sie, Mumienbinden anzuzünden, und stellte fest, daß sie ausgezeichnet brannten. Auch Mumienbruchstücke mit Binden brannten genausogut wie Fackeln, und sie überwand sich, sie aufzuheben. Die Unterarme eigneten sich am besten zu diesem Zweck, weil sie sich am günstigsten halten ließen. Mit dieser besseren Beleuchtung durchquerte sie zügig zahlreiche Gänge und überwand mehrere Ebenen, bis sie am Ende frische Luft atmete. Erica löschte die Fackel und legte die letzten Meter im Mondschein zurück. Als sie in die laue ägyptische Nacht hinaustrat, befand sie sich nur einige hundert Meter von jenem Stollen entfernt, durch den Mohammed Abdulal sie in den Berg geführt hatte. Direkt unter ihr lag das Dorf Kurna. Nur noch sehr wenige Lichter waren im Dorf zu sehen.
Für eine Weile stand Erica im Zugang der Katakomben, schaute mit so inniger Freude zum Mond und den Sternen auf, wie sie es noch nie bei ihrem Anblick empfunden hatte. Sie lebte, und sie war sich darüber im klaren, daß das ein gewaltiger Glücksfall war. Was sie nun benötigte, war eine Zuflucht zum Verschnaufen, zum Wiedergewinnen ihrer Fassung und um etwas zu trinken. Ihre Kehle war rauh vom vielen Staub. Sie hatte auch dasBedürfnis, sich gründlich zu waschen, denn das furchtbare Erlebnis klebte an ihr wie Schmutz, aber vor allem anderen verlangte es sie danach, ein freundliches Gesicht zu sehen. Der nächstbeste Ort, wo sich das alles finden ließ, war Aida Ramans Haus. Sie konnte es am Abhang liegen sehen, weil darin noch Licht brannte.
Erica trat aus dem Schatten der Katakomben und schritt mit großer Vorsicht am Fuß der Klippen entlang. Bis sie wieder in Luxor war, durfte
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