Der Fluch der Sphinx
und schluchzte noch stärker. Mit einem Mal hatte sie begriffen: Sie war lebendig begraben!
Nachdem sie sich mit der unerbittlichen Realität ihrer Lage abgefunden hatte, begann allmählich Ericas gesunder Menschenverstand wieder zu arbeiten. Sie hob die Taschenlampe auf und stieg die lange Treppe in die Vorkammer wieder hinunter. Sie fragte sich, wann Yvon wohl anfing, sich Sorgen zu machen. Sobald er erst einmal mißtrauisch geworden war, würde er wahrscheinlich den Curio Antique Shop aufsuchen. Aber die Frage war,ob Lahib Zayed überhaupt wußte, wo sie sich nun befand? Ob ihr Taxifahrer jemals auf den Gedanken kam, der Polizei zu melden, daß er eine Amerikanerin nach Kurna gefahren, sie jedoch nie wiedergesehen hatte? Erica wußte auf diese Fragen keine Antworten. Aber allein schon die Überlegungen darüber gaben ihr wieder etwas Kraft. Plötzlich merkte sie, daß das Licht ihrer Taschenlampe nachließ.
Sie knipste sie aus und kramte nochmals in ihrer Segeltuchtasche, bis sie drei Zündholzheftchen beisammen hatte. Das war kein großartiges Ergebnis, aber dabei geriet ihr ein Filzstift in die Finger. Dieser Fund gab ihr eine Idee ein. Damit konnte sie an der Wand der unvollendeten Kammer eine Botschaft hinterlassen, in der sie erklärte, was aus ihr geworden war; sie konnte sie in Hieroglyphen verfassen, so daß die Leute, die sie hier eingesperrt hatten, ihre Bedeutung mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht begriffen. Sie wußte, daß es nur darum ging, sich zu beschäftigen. Aber das war immerhin schon etwas. Ihre Furcht war bitterem Bedauern und der Verzweiflung gewichen. Diese Tätigkeit würde sie wenigstens ablenken.
Mit Hilfe einiger Steine brachte sie die brennende Taschenlampe am Boden in eine Schräglage, damit sie die Hände frei hatte. Dann begann Erica eine Mitteilung zu entwerfen. Je einfacher, dachte sie, um so besser. Dann begann sie die Symbole zu zeichnen. Sie war etwa zur Hälfte fertig, als das Licht der Taschenlampe erheblich schwächer wurde. Die Glühbirne flackerte noch einmal kurz auf, aber danach glomm nur noch ein kleiner roter Draht.
Auch diesmal weigerte sich Erica, sich ins Gegebene zu schicken. Sie zündete ein Streichholz nach dem anderen an, um die Arbeit am Hieroglyphentext fortsetzen zukönnen. Sie kauerte am Boden vor der rechten Wand; ihr Text war in Spalten gefaßt, die jeweils vom Fußboden aufwärts bis unter die unfertige Ernteszene reichten. Nach wie vor überfielen sie gelegentlich Weinkrämpfe, weil sie sich mit all ihrer Klugheit selbst in diese mißliche Lage gebracht hatte. Alle hatten sie davor gewarnt, sich in den Schwarzhandel einzumischen, aber sie hatte auf niemanden gehört. Sie war eine Närrin gewesen. Ihre Kenntnisse der Ägyptologie hatten sie nicht dazu befähigt, sich mit Kriminellen zu messen, vor allem nicht mit einem von der Sorte Mohammed Abdulais.
Als ihr nur noch ein Zündholzheftchen zur Verfügung stand, wollte Erica erst recht nicht darüber nachdenken, wieviel Zeit ihr selbst noch bleiben mochte … wie lange der Sauerstoff noch reichte. Sie beugte sich tief zum Fußboden hinab, um einen Vogel zu malen. Doch bevor sie den Umriß der Figur vollenden konnte, erlosch plötzlich das Zündholz. Erica fluchte laut in die Finsternis, denn es war zu schnell ausgegangen. Sie zündete ein anderes Streichholz an, aber als sie sich wieder vorbeugte, um weiterzumachen, ging es ebenfalls aus. Erica zündete noch eines an und untersuchte sehr genau den Bereich des Fußbodens, über dem sie gerade arbeitete. Das Streichholz brannte zunächst gleichmäßig, dann flackerte es plötzlich wie in einem Windstoß. Erica befeuchtete mit der Zunge ihre Finger und fühlte auf einmal aus einem kleinen vertikalen Riß im Gipsmörtel direkt überm Fußboden einen Luftzug kommen.
Im Dunkeln glomm noch ganz schwach die Glühbirne der Taschenlampe, und Erica orientierte sich an dem Flimmern, um sich einen der Steine zu holen, zwischen die sie die Lampe geklemmt hatte. Sie erwischte ein Stück Granit, vermutlich ursprünglich Bestandteil des Sarkophagdeckels. Erica begab sich damit zurück zu derStelle, wo der Luftzug eindrang, und strich ein weiteres Streichholz an.
Sie hielt das kleine Flämmchen im Schutz ihrer linken Hand und schlug mit der Rechten den Granitbrocken gegen den Gipsmörtel. Nichts geschah. Sie schlug wiederholt auf dieselbe Stelle, bis das Zündholz erlosch. Dann ertastete Erica den Spalt im Dunkeln mit der Hand und hämmerte ungefähr eine Minute
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