Der Fluch der Sphinx
sie es nicht riskieren, von Mohammed Abdulal oder dem Nubier gesehen zu werden. Am allerliebsten wäre sie sofort zu Yvon geeilt und hätte ihm mitgeteilt, wo er die Statue finden konnte, um anschließend sofort aus Ägypten zu verschwinden. Sie hatte die Nase gestrichen voll.
Als sie sich in gerader Linie oberhalb von Aida Ramans Haus befand, begann Erica den Abstieg. Auf den ersten hundert Metern mußte sie durch tiefen Sand stapfen, danach durch lockeres Geröll, das bei jedem Geräusch ihr einen Schrecken einjagte. Endlich erreichte sie die Rückseite des Hauses.
Einige Minuten lang wartete Erica noch im Schatten, beobachtete das Dorf. Nichts tat sich. Davon überzeugt, daß die Luft rein sei, ging sie um das Haus herum und pochte an die Tür.
Aida Raman rief ein paar arabische Worte. Erica antwortete, indem sie ihren Namen nannte und hinzufügte, daß sie mit ihr zu sprechen wünsche.
»Gehen Sie«, rief Aida durch die geschlossene Tür.
Erica war verblüfft. Aida war doch so herzlich und freundlich gewesen? »Bitte, Mrs. Raman«, flehte sie durch die verschlossene Tür, »ich muß unbedingt einen Schluck Wasser trinken.«
Ein Riegel schnarrte, und die Tür schwang auf. AidaRaman trug dasselbe Baumwollkleid wie bei ihrer ersten Begegnung.
»Vielen Dank«, sagte Erica. »Ich bedaure es sehr, Sie stören zu müssen. Aber ich bin ungeheuer durstig.«
Aida sah älter aus als vor zwei Tagen. Ihre ganze wohlgelaunte Fröhlichkeit schien verflogen zu sein. »Nun gut«, maulte sie. »Aber warten Sie hier an der Tür. Sie können nicht bleiben.«
Während die Greisin ihr etwas zu trinken holte, sah sich Erica im Zimmer um. Der vertraute Anblick übte eine tröstliche Wirkung aus. Die Schaufel mit dem langen Stiel steckte in ihren Klemmen. Säuberlich hingen die eingerahmten Fotos an den Wänden. Viele zeigten Howard Carter neben einem Araber mit Turban; Erica nahm an, daß dieser Araber Raman war. Zwischen den Fotos hing ein kleiner Spiegel, und Erica erschrak über ihr eigenes Aussehen.
Aida Raman brachte etwas von dem Fruchtsaft, mit dem sie Erica schon bei ihrem ersten Besuch bewirtet hatte. Erica trank langsam. Das Schlucken schmerzte.
»Meine Familie war sehr böse«, begann Aida, »als ich erzählte, daß Sie mich dazu verleitet haben, Ihnen den Papyrus zu zeigen.«
»Familie?« wiederholte Erica; das Getränk belebte sie. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, Sie seien die letzte Raman.«
»Das bin ich auch. Meine beiden Söhne sind tot. Aber ich habe auch zwei Töchter, und die sind inzwischen verheiratet. Ich habe einem meiner Schwiegersöhne von Ihrem Besuch erzählt. Er war sehr zornig und hat den Papyrus mitgenommen.«
»Was hat er damit gemacht?« fragte Erica voller Unruhe.
»Ich weiß es nicht. Er sagte, man müsse äußerst vorsichtig damit umgehen, und er wolle ihn an einem sichereren Ort aufbewahren. Er meinte, es läge ein Fluch darauf, und nun müßten Sie, weil Sie ihn gelesen haben, bestimmt sterben.«
»Glauben Sie das?« Erica wußte, daß Aida Raman für so etwas nicht genug Einfalt besaß.
»Ich weiß es nicht. Mein Mann hat etwas anderes gesagt.«
»Mrs. Raman«, bemerkte Erica, »ich habe den Papyrustext vollständig übersetzt. Ihr Mann hatte recht. Das Schriftstück hat nichts mit einem Fluch zu tun. Ein Architekt hat diesen Papyrus im Altertum für Pharao Sethos I. geschrieben.«
Im Dorf kläffte laut ein Hund. Ein Mensch brüllte zurück. »Sie müssen jetzt gehen«, drängte Aida. »Sie müssen fort sein, falls mein Schwiegersohn zurückkommt. Bitte!«
»Wie heißt Ihr Schwiegersohn?« erkundigte sich Erica.
»Mohammed Abdulal.«
Die Neuigkeit traf Erica wie ein Schlag ins Gesicht.
»Sie kennen ihn?« fragte Aida.
»Ich bin ihm heute abend begegnet. Wohnt er im Ort … hier in Kurna?«
»Nein, er wohnt in Luxor.«
»War er heute abend schon hier?« fragte Erica nervös.
»Während des Tages schon, aber heute abend noch nicht. Bitte, Sie müssen jetzt gehen.«
Erica drehte sich eilig zum Gehen um. Sie war weit nervöser als Aida. Aber auf der Schwelle verharrte sie noch einmal. Lose Enden begannen sich zusammenzufinden. »Was für eine Tätigkeit übt Mohammed Abdulal aus?« Erica erinnerte sich daran, daß zuständige Beamte in den Schwarzhandel verwickelt sein sollten.
»Er ist Chef der Wache in der Nekropole, und außerdem hilft er seinem Vater, den Verkaufspavillon im Tal der Könige zu führen.«
Erica nickte; nun blickte sie durch. Vorgesetzter der Wache im
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