Der Fluch der Sphinx
Öllampe und unterzog nun den Raum einer genauen Prüfung, untersuchte seinen Grundriß. Die Bauart wies keine Absonderlichkeiten auf.
In der Männertoilette war der Uringestank noch aufdringlicher. Schuld daran war ein langes, aus gebrannten Ziegeln gemauertes Pissoir entlang der Außenmauer. Über dem Pissoir befand sich ein ungefähr sechzig Zentimeter hoher Einstieg zur Kanalisation, der bis unter dieVeranda reichte; die Herrentoilette paßte nicht in den Grundriß des Gebäudes. Erica trat vor die Pißrinne. Die Öffnung des Einstiegs war etwa in Schulterhöhe. Sie hielt die Öllampe hoch, um hineinzuschauen, aber das Licht leuchtete bloß etwas über einen Meter weit. Sie konnte gerade noch eine offene Sardinenbüchse und ein paar leere Flaschen auf dem lehmigen Boden erkennen.
Erica stieg auf einen Abfalleimer und kletterte dann in den Einstieg hinein. Ihre Segeltuchtasche ließ sie am Rand zurück. Wie ein Krebs krabbelte sie vorwärts, wobei sie vermied, den hineingeworfenen Unrat zu berühren, bis sie ans Mauerwerk stieß. In dieser Enge war der Gestank der Toilette fast unerträglich, und Ericas Begeisterung erhielt einen merklichen Dämpfer. Aber da sie nun schon so weit war, nahm sie das Gemäuer vom einen bis zum anderen Ende in Augenschein. Nichts!
Erica stützte den Kopf in die Hände und gestand sich ein, daß sie sich geirrt hatte. Dabei wirkte alles so gut durchdacht. Sie stieß einen schweren Seufzer aus und versuchte, sich umzudrehen. Das erwies sich als zu schwierig, und sie wand sich rückwärts wieder hinaus. Die Öllampe in der einen Hand, schob sie sich, indem sie sich mit der anderen Hand abstemmte, zurück zur Einstiegsöffnung, aber die Erde unter ihr war locker und bereitete ihr Schwierigkeiten. Sie bemühte sich, einen besseren Ansatzpunkt zu finden, und als sie im Dreck schabte, fühlte sie etwas Glattes unter der Erde.
Erica verdrehte den Hals und schaute näher hin. Ihre rechte Hand ruhte auf einer Metallfläche. Sie scharrte etwas vom Schmutz beiseite und entblößte ein Stück einer metallenen Platte. Sie stellte die Lampe ab und räumte mit beiden Händen das lockere Erdreich fort: An den Rändern des Metallstücks konnte sie sehen, daß es sich um eine in den Felsen eingelassene Metallplatte handelte; sie mußte die Platte völlig von Erde befreien, ehe sie den Rand anheben und sie über das angehäufte Erdreich fortschieben konnte. Die Metallplatte hatte einen senkrecht ins Muttergestein getriebenen Schacht verborgen.
Erica hielt das Licht über das dunkle Loch und erkannte, daß es etwa achtzig Zentimeter tief und der Anfang eines Tunnels war, der zur Vorderseite des Gebäudes führte. Sie hatte doch recht! Langsam hob sie den Kopf und starrte versonnen vor sich in die Düsternis. Erregung und ein Gefühl der Befriedigung packten sie. Nun konnte sie sich vorstellen, wie Carter im November 1922 zumute gewesen sein mußte.
Schließlich zerrte sie ihre Segeltuchtasche ins Innere des Einstiegs. Dann ließ sie sich in den kurzen Schacht rutschen und hielt die Öllampe in die Mündung des Tunnels. Er verlief abwärts und erweiterte sich unmittelbar hinter dem Zugangsschacht. Erica atmete tief ein und setzte sich in Bewegung. Zuerst mußte sie praktisch auf allen vieren kriechen, aber kurz darauf vermochte sie schon in gebückter Haltung zu gehen. Unterwegs versuchte sie, die Länge des Tunnels zu schätzen. Er führte direkt in die Richtung von Tutanchamuns Grab.
Nassif Boulos schlenderte über den dunklen leeren Parkplatz im Tal der Könige. Er war siebzehn Jahre alt und der jüngste der drei Nachtwächter. Im Laufen rückte er den Gurt seines alten Gewehrs, das im Ersten Weltkrieg in Ägypten zurückgelassen worden war, auf der Schulter zurecht. Diesmal hatte er nicht die gute Route erwischt, den Kontrollgang zur anderen Seite des Tals und zurück zur Wachstube, wo man seine Ruhe hatte und einen Schluck trinken konnte; und deshalb war er sauer. Wieder hatten seine Kollegen seine Jugendund den Umstand, daß er an Rang und Würde unter ihnen stand, ausgenutzt.
Die helle Mondnacht besänftigte seinen Ärger, und nach einer Weile verspürte er bloß noch Unruhe und das Bedürfnis nach irgend etwas, das die Langweiligkeit des Wachdienstes unterbrach. Aber im Tal herrschte Ruhe, jedes Grab war mit einem starken Eisengitter versperrt Nassif hätte zu gerne einmal sein Gewehr gegen einen Dieb benutzt, und in Gedanken malte er sich aus, wie er das Tal gegen eine Räuberbande
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