Der Fluch der Sphinx
vernahm einen dumpfen Laut: ein von einem Schalldämpfer unterdrückter Schuß. Erica verspürte keinen Schmerz, und ihr Blickfeld blieb klar. Dann geschah etwas Merkwürdiges. In der Mitte von Evangelos’ Stirn schien sich eine kleine rote Blume zu öffnen, und er stürzte vornüber aufs Gesicht, die Waffe fiel aus seiner Hand.
Erica stand wie versteinert. Ihre Arme hingen schlaff herab, und sie hörte, wie sich hinter ihrem Rücken etwas in den Sträuchern rührte. Dann sprach eine Stimme sie an. »Sie hätten sich mal lieber nicht so viel Mühe geben sollen, mich abzuhängen.«
Erica drehte sich langsam um. Vor ihr stand der Mann mit der Hakennase und dem abgebrochenen spitzen Zahn. »Das war echt knapp«, sagte Khalifa und deutete auf Evangelos. »Ich vermute, Sie sind unterwegs zu Monsieur de Margeau. Beeilen Sie sich. Es wird noch mehr Ärger geben.«
Erica versuchte zu sprechen, aber sie brachte keinen Ton hervor. Sie nickte nur und wankte an Khalifa vorbei, als wären ihre Beine aus Gummi. Später erinnerte sie sich nicht mehr, wie sie in Yvons Zimmer gelangte.
Der Franzose öffnete die Tür, und sie brach in seinen Armen zusammen, murmelte etwas von einem Schuß, über das Gefängnis in der Gruft, über den Fund der Statue. Yvon blieb ganz ruhig, streichelte ihr Haar, drückte sie auf einen Stuhl und bat sie, von Anfang an zu erzählen.
Gerade wollte sie anfangen, als es an die Tür klopfte. »Ja«, rief Yvon, nervös sich umdrehend. »Ich bin’s, Khalifa.«
Yvon machte ihm die Tür auf, und Khalifa drängte Stephanos in den Raum.
»Sie haben mir den Auftrag erteilt, das Mädchen zu beschützen und die Person zu schnappen, die es umzubringen versucht. Hier ist der Kerl.« Khalifa wies auf Stephanos.
Stephanos musterte Yvon, dann Erica. Sie war fassungslos, als sie begriff, daß Yvon Khalifa zu ihrem Schutz angeworben hatte, denn ihr gegenüber hatte er stets die Gefahr heruntergespielt. Erica wurde es allmählich unbehaglich.
»Hör mal, Yvon«, sagte Stephanos nach einem Weilchen. »Es ist ja lachhaft, daß wir uns in die Haare geraten. Du bist sauer auf mich, weil ich die erste Sethos-Statue dem Mann in Houston verkauft habe. Aber ich habenicht mehr getan, als die Statue aus Ägypten in die Schweiz transportiert. In Wirklichkeit sind wir gar keine Konkurrenten. Du möchtest im gesamten Schwarzhandel die Vormachtstellung haben. Na schön, von mir aus. Ich will nur meinen kleinen Anteil behalten. Ich kann dein Zeug auf seit lange bewährten Wegen aus Ägypten schaffen. Wir sollten zusammenarbeiten.«
Schnell sah Erica zu Yvon hinüber, damit ihr nicht die kleinste Reaktion entging. Sie wünschte, er würde laut lachend Stephanos entgegnen, daß alles eine Täuschung sei und er vielmehr den Schwarzhandel drosseln wolle.
Yvon wühlte in seinem Haar. »Warum hast du Erica bedroht?« fragte er.
»Weil sie von Abdul Hamdi zuviel wußte. Ich wollte meine Route geheimhalten. Aber wenn ihr zwei zusammenarbeitet, ist ja alles in Ordnung.«
»Dann hast du also gar nichts mit Abdul Hamdis Tod und dem Verschwinden der zweiten Sethos-Statue zu tun?« fragte Yvon.
»Nein«, antwortete Stephanos, »ich schwöre es. Ich hatte überhaupt nichts von der zweiten Sethos-Statue gewußt. Das machte mir ja eben solche Sorgen. Ich habe befürchtet, daß man mich aus dem Geschäft drängt und Hamdis Brief der Polizei in die Hände spielt.«
Erica schloß die Augen, um mit der ganzen Wahrheit fertig zu werden. Yvon war kein Kreuzritter. Sein Ziel, den Schwarzmarkt in den Griff zu bekommen, galt nur seinen eigenen Interessen, nicht der Wissenschaft, Ägypten oder der Welt. Seine Leidenschaft für Altertümer erstickte alle moralischen Bedenken. Erica war zur Närrin gemacht worden, und was noch schwerer wog, sie hätte das Leben verlieren können. Sie krallte ihre Fingernägel in die Couch. Sie mußte hier heraus. Sie mußte Achmed über Sethos’ Gruft informieren.
»Stephanos hat Abdul Hamdi nicht umgebracht«, sagte Erica plötzlich. »Abdul Hamdi ist von den Leuten in Luxor ermordet worden, die die Hand auf der Quelle der Antiquitäten haben. Die Sethos-Statue ist wieder in Luxor. Ich habe sie gesehen und kann uns hinführen.« Absichtlich sagte sie »uns«.
Yvon sah sie an, ein wenig verdutzt, daß sie sich so schnell erholt hatte. Erica lächelte ihm aufmunternd zu. Ihr Selbsterhaltungstrieb verlieh ihr ungeahnte Kräfte. »Außerdem ist Stephanos’ Route durch Jugoslawien«, fügte Erica hinzu, »weit besser
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