Der Fluch der Sphinx
Überlegungen deprimierten Achmed, der alles geopfert hatte, um in seine gegenwärtige Position zu gelangen. Er hatte beschlossen, die Kontrolle über die Altertümer und alles, was damit zusammenhing, in einem Ressort zusammenzufassen – und nun, da er an dieser wichtigen Stelle saß, stand er den großen Unzulänglichkeiten des Ministeriumsbetriebs gegenüber. Bis jetzt waren alle seine Versuche, wenigstens die eigene Abteilung zu reorganisieren, auf entschlossenen Widerstand gestoßen.
Er setzte sich auf seine ägyptische Rokoko-Couch und entnahm seinem Diplomatenkoffer einige Memoranden. Er las die Überschriften: »Verbesserte Sicherheitsvorkehrungen für die Nekropole Luxor einschl. Tal der Könige« und »Unterirdische bombensichere Lagerräume für Tutanchamuns Schätze«. Er schlug den ersten Aktendeckel auf, da ihn das Thema besonders interessierte. Den Schutz der Nekropole Luxor hatte er erst vor kurzem völlig umgestaltet. Das war sein dringlichstes Hauptziel gewesen, als er sein Amt antrat.
Achmed las den obersten Absatz zweimal, ehe er sich eingestand, daß seine Gedanken nicht beim Thema blieben. Immer wieder dachte er an Erica Barons feingeschnittenes Gesicht. Ihre Schönheit hatte ihn verblüfft, als er sie in ihrem Hotelzimmer zum erstenmal sah. Er hatte die Absicht gehabt, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber er selbst war derjenige, der unsicher wurde. Es bestand eine Ähnlichkeit – nicht in der Erscheinung, aber im Auftreten – zwischen Erica und einer Frau, die Achmed während seines dreijährigen Studiums an der Harvard-Universität geliebt hatte. Das war Achmeds einzige echte Liebesbeziehung gewesen; und die Erinnerung an den Kummer, den er empfand, als er nach Oxford abreiste, schmerzte ihn noch heute. Er wußte, daß er sie niemals wiedersehen würde, und die Trauer der Trennung war so nachhaltig gewesen, daß er von da an Liebesabenteuer mied, um die ihm von seiner Familie gesteckten Ziele erreichen zu können.
Achmed lehnte sich zurück an die Wand und ließ vor seinem geistigen Auge ein Bild Palema Nelsons erstehen, des Mädchens aus Radcliffe. Er konnte sie durch die Schleier der vergangenen vierzehn Jahre deutlich sehen; er erinnerte sich jener Augenblicke des Erwachens an einem Sonntagmorgen, wo die Liebe sie gegen die Bostoner Kälte schützte. Er entsann sich, wie er es genossen hatte, sie schlafen zu sehen, wie er sehr sanft ihre Stirn und die Wangen streichelte, bis sie sich rührte und ihn anlächelte.
Achmed erhob sich und ging in die Küche. Er beschäftigte sich mit Teekochen, um den Erinnerungen zu entfliehen, die Erica in ihm so nachhaltig geweckt hatte. Es kam ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen, daß er nach Amerika reiste. Seine Eltern hatten ihn mit Verhaltensmaßregeln und Aufmunterungen überhäuft, waren sich aber über die Ängste ihres Sohnes im unklaren, als sie ihn zum Flugplatz gebracht hatten. Die Vorstellung, nach Amerika zu gehen, war für einen Jungen aus Oberägypten ein aufregendes Ereignis gewesen, aber in Boston war er schlichtweg gräßlich einsam gewesen. Auf jeden Fall, bis er Pamela kennenlernte. Danach war alles zauberhaft geworden. Während seiner Freundschaft mit Pamela hatte er fleißig studiert, Harvard in drei Jahren absolviert.
Achmed kehrte mit dem Tee zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf seine steinharte Couch. Das warme Getränk beruhigte seinen verkrampften Magen. Nach langen Überlegungen begriff er, warum Erica Baron ihn so an Pamela Nelson erinnerte. Er hatte an Erica die gleiche Intelligenz und persönliche Großzügigkeit gespürt, hinter denen Pamela ihre Sinnlichkeit zu verbergen pflegte. Die verborgene Frau war es gewesen, in die sich Achmed verliebt hatte. Achmed schloß die Lider und erinnerte sich an Pamelas nackten Körper. Er saß vollkommen reglos. Das einzige Geräusch war das Ticken der marmornen Uhr auf dem Büfett.
Ruckartig öffnete er die Augen wieder. Das offizielle Lächelporträt Sadats verdrängte die schönen Erinnerungen. Die Gegenwart hatte ihn wieder, und Achmed seufzte. Dann lachte er über sich selbst. Für ihn war es ungewöhnlich, in Erinnerungen zu schwelgen. Er wußte, daß die Verantwortung in Behörde und Familie ihm wenig Raum für sentimentale Stimmungen ließen. Es hatte einen harten Kampf gekostet, um die jetzige Position zu erreichen, und nun stand er dicht vor seinem größten Ziel.
Achmed nahm erneut die Studie über das Tal der Könige zur Hand und versuchte
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