Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
geschafft, oder?«, schrie sie. »Und ihr alle sterbt mit mir.« Sie hörte ihre Stimme im Tunnel schallen, und es klang so, als wollte sie aufgeben, was sie gleich zurechtzurücken versuchte. »Rowley wird kommen, ich weiß es.«
Aber sie glaubte es selbst nicht mehr und hörte auf, von ihm zu reden.
Das Rasseln der Schlüssel, das die Treppe vom Wachraum herunterkam, ließ die Körper der Gefangenen sich aufrichten, Speichel begann zu fließen, und Verwunderung ergriff sie. War schon wieder ein Tag vergangen? Es war doch noch nicht Zeit für neues Essen?
Draußen im Tunnel wurde es hell, aber ihre Zellen blieben geschlossen. Adelia reckte sich in die Höhe, damit sie hinaussehen konnte. Vater Gerhardt stand vor Ulfs, Mansurs und Rankins Zelle. Er hielt eine Pergamentrolle in der Hand, und seine Zähne leuchteten im Schein der Fackel auf, die eine der Wachen trug. »Könnt ihr mich alle hören?«
Niemand antwortete, alle hörten ihn.
Er begann zu lesen.
»Hiermit ergeht die Bekanntmachung von unserem guten, heiligen Bischof von Aveyron, dass die fünf Katharer in seinem Gewahrsam der schändlichen Sünde der Häresie für schuldig befunden wurden. Es wurde beobachtet, dass sie sich in einer Hütte in den Bergen zusammengeschart hatten, um frevlerische Taten zu begehen. Der Teufel zeigte sich in Gestalt eines schwarzen Hundes, und die Katharer fielen vor ihm auf die Knie und tanzten unzüchtige Tänze …«
Aus der Zelle der Männer kam ein wütendes Brüllen. Mansur schrie auf Arabisch, Rankin auf Gälisch. Und über den Lärm der beiden erhob sich Ulfs Stimme. »Wurde beobachtet? Wer hat was beobachtet? Nenn uns seinen Namen, du Dreckskerl!«
»… wonach jeder Einzelne seine Lippen zu einem Kuss auf die Rückseite der Kreatur drückte, und dann kopulierten sie wild miteinander …«
»Von ’nem Hund?«, fragte Boggart und versuchte Vater Gerhardt zu verstehen. »Wir hatten doch nur Ward.«
Adelia schüttelte den Kopf. Es war fast immer ein Hund. Oder eine Ziege. Manchmal auch eine Katze oder eine Kröte. Und dann der
osculum infame,
der obszöne Kuss. Es war die uralte, unvermeidliche Anklage gegen Juden, vermeintliche Hexen und Häretiker, die sich nur in winzigen Einzelheiten veränderte. Gott, wie müde sie war!
Ulf wollte auch weiter den Namen ihres Anklägers wissen. »Du Dreckskerl, wir hatten nicht mal ’nen Prozess!«
Hör auf!, dachte sie. Mein lieber Junge, spar dir deinen Atem! Wir unterstehen hier nicht Henry Plantagenets Rechtsprechung. Hier gibt es keinen Prozess und keine Verteidigung, nur ein Urteil.
Vater Gerhard las stetig weiter, sein immer lauter werdendes Stakkato zerschlug Ulfs Schreie wie ein Hammer.
»Angesichts solcher Taten wurde beschlossen, dass solche Sündhaftigkeit diese Gotteslästerer von der Gnade Gottes ausschließt und ihre Körper die Strafe des Verbrennens erleiden müssen, damit ihre Seelen am Tag des Jüngsten Gerichts wenigstens teilweise von ihren Sünden gereinigt vor Gott erscheinen mögen. Das Urteil ist morgen um zwölf Uhr mittags zu vollstrecken.«
Der Priester rollte das Pergament wieder zusammen und bedeutete der Wache, ihm den Weg zurück zur Treppe zu leuchten. Ulfs Stimme überschlug sich: »In Gottes Namen, schickt nach Carcassonne, fragt den Bischof von St. Albans! Wir sind keine Katharer, er wird es Euch sagen.«
»Euer Bischof ich nicht mehr in Carcassonne, er ist unterwegs nach Italien.«
»Dann schickt nach Figères!«
Der Priester blieb stehen und drehte sich um. Sein Lächeln, wenn es ein Lächeln war, wurde breiter. »Wir
haben
nach Figères geschickt«, sagte er, »und Antwort erhalten. Sie kennen euch nicht.«
Adelia ließ das Gitter los und glitt auf den Boden. Eine kleine Hand fühlte nach ihrer. Sie hörte ein Flüstern. »Uns verbrennen? Sie wollen uns
verbrennen?
«
Adelia war wie taub.
»Schneidet mich auf!«, sagte Boggart eindringlich. »Ihr müsst mich aufschneiden!«
Adelia drückte sie an sich. »Schschsch.«
»Holt das Baby raus! Lasst sie mein Baby nich verbrennen! Schneidet mir ’n Bauch auf und holt das Baby raus! Zieht’s raus! Ihr könnt es.«
»Liebes, das kann ich nicht.
Ich kann es nicht.
Allmächtiger Gott, hilf uns, was soll ich nur tun?«
Es ist geschafft, Wolf, mein Geliebter! Der lange Plan, all unsere Listen und Strategien tragen ihre Früchte. Sie wird schreiend sterben. Oh ja, wir werden da sein, du und ich. Wir werden uns hinschleichen, um sie brennen zu sehen, den Geruch bratenden
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