Der Fluch des Andvari (German Edition)

vergessen, denn diese Brünette hatte etwas, das ihn ungemein faszinierte. Schließlich war er auch nur ein Mann und schon lange allein.

    Irgendwo in der Republik.
    Zwielicht erfüllte das Arbeitszimmer der Villa. Nur die Tischlampe brannte. Es war still im Raum. Nachdenklich lehnte der Mann in den Polstern des schweren Lederstuhls und starrte auf den Computermonitor, der auf dem Schreibtisch stand. Er wartete auf einen Anruf via Internet. Es war eine schwere Bürde, die er trug. Nie hatte er seiner Familie von seinem zweiten Leben erzählt. Von einem Leben um Macht und Tod, von den Grauen und Schrecken der Finsternis, die er erlebt hatte und noch immer erlebte.
    Er war Thor, der Ordensmeister des Andvari!
    Es war ein Leben in Täuschung und List, ein ständiger Wettkampf um Verbergen und Betrügen. Heute mehr denn je. Schon in jungen Jahren hatte er dem Orden angehört, genau wie sein Vater und Großvater vor ihm, die ihn in diese Gesellschaft eingeführt hatten. Es war ein geheimer Orden, der etwa 50 Mitglieder besaß, einflussreiche Männer, die die Geschicke des Landes bestimmten. Der Orden versprach finanzielle Unabhängigkeit, Wohlstand und Freiheit, bedeutete die Chance, die Welt zu kontrollieren und nach den eigenen Maßstäben zu verändern. In jeder großen Industrienation gab es ähnliche Orden, die doch alle dasselbe Ziel verfolgten: Macht! Die Meister der Orden waren in internationalen Führungszirkeln versammelt, wo eine globale Koordinierung stattfand und eine einheitliche Vorgehensweise verhandelt wurde. Zur Tarnung hatten sich die Mitglieder Namen aus der Mythologie zugelegt. Es sollte vor Angriffen der Polizeibehörden schützen. Diese Vorsicht war mehr denn je angeraten, denn für Thor und den Andvari-Orden wurde es zunehmend gefährlicher, je näher sie der Wahrheit am Binger Loch kamen. Ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit, ein falsches Wort und das ganze Gebäude aus Lügen würde einstürzen. Thor musste Entscheidungen treffen, die nicht nur sein Leben grundlegend verändern würden. Menschen würden sterben, wollte der Orden seine Ziele erreichen.
    Er hatte bereits als Kind von der Nibelungensage gehört, von den mystischen Ereignissen der Vorzeit. Nach der nordischen Mythologie begab es sich, dass Loki und andere Götter eines Tages zu dem Land kamen, wo Hreidmar, König der Zwerge, lebte. Als Gastmahl brachten sie einen getöteten Otter mit, der in Wahrheit der Sohn des Zwergen-Königs war. Als Hreidmar das erkannte, setzte er die Götter voller Wut gefangen. Der Preis, den er für ihre Freiheit forderte, war eine unermessliche Menge an Gold. Loki, der Listige, wurde schließlich gesandt, solch einen Schatz zu finden und zurückzubringen. Er erinnerte sich dabei an Andvari, den geschickten Handwerker und reichsten unter den Zwergen. Mit Hilfe eines magischen Ringes, Andvaranaut genannt, vergrößerte der Zwerg ständig seinen Reichtum. Als er wieder einmal in Gestalt eines Lachses an dem Wasserfall, wo er lebte, badete, fing Loki ihn mit dem Netz und forderte für die Freilassung all das Gold, das dieser besaß. So gab Andvari seinen Schatz heraus und durfte nur den Ring behalten, der seinen Reichtum wieder mehren würde. Doch schließlich stahl Loki ihm auch diesen Ring. Verbittert über diese Hinterlist belegte Andvari den Ring mit einem schrecklichen Fluch, dass er jeden zerstören sollte, wer immer ihn besaß. Hreidmar, unwissend über das Geschehen, freute sich unterdessen über den immensen Schatz und ließ die Götter frei.
    Das war der Auftakt zur eigentlichen Nibelungensage.
    Hreidmar wurde wenig später von seinem Sohn Fafnir erschlagen, der daraufhin zu einem Drachen mutierte und den Schatz bewachen musste. Dieser Drache wurde schließlich von Siegfried, dem König von Xanten, getötet und der Reichtum, inklusive des Ringes, ging in dessen Besitz über. Später stellte er sich in den Dienst König Gunthers von Burgund und ehelichte in Worms dessen schöne Schwester Kriemhild. Doch ihr Glück währte nur kurz. Es kam zum Prestigestreit zwischen Kriemhild und Gunthers Gemahlin Brünhild, der einstigen Herrin von Island. Hagen von Tronje, Gunthers Onkel, führte dann den Mordkomplott aus und tötete Siegfried. So fand auch der letzte Träger des Ringes den Tod durch fremde Hand. Anschließend versenkte Hagen den Schatz im Rhein. So wurde es erzählt.
    Da öffnete sich die Tür. Eine junge Frau näherte sich erhabenen Schrittes. Das blonde Haar war hochgesteckt. Passend dazu trug