Der Fluch des Andvari (German Edition)
Wolff und seine Mitverschwörer vor 99 Jahren mit ihr geschlossen hatten, ihre Absprachen schienen verfallen zu sein. Und Karl-Ludwig Steinhagen war die Personifizierung dieses Ungehorsams. Jetzt hatte Brünhild ihn eines seiner Handlanger beraubt.
Zufrieden genoss sie die Geburtstagsfeier des Verlegers. Sie saugte diese Lebendigkeit, die Fröhlichkeit der Menschen geradezu in sich auf. Es stimulierte sie, belebte sie, ließ sie die Jahrhunderte lange Dunkelheit vergessen, die sie umfangen hatte. Doch ihr Hass war unauslöschlich. Sie würde Rache nehmen an den Menschen, die für ihr Leid verantwortlich waren. Endlich war der Moment gekommen, die Konstellation, die die Wächter des Lichts stets zu meiden suchten, war eingetroffen. Noch war Hannah Jenning ahnungslos. Aber schon bald würde sie all ihr Vertrauen verlieren in die Menschen, die sie am meisten liebte. Unweigerlich stürzte sie immer tiefer in das Netz der Intrigen, das sich um sie aufbaute. Niemand würde sie daraus befreien können. Genugtuung erfüllte die Walküre. Die Menschen waren ihr nicht gewachsen, auch wenn sie glaubten, die Regeln zu bestimmen. Nur Thor war Brünhild zugeneigt. Sein Urgroßvater hatte sie aus dem Sarkophag befreit und ihr die Hoffnung auf das Leben wiedergegeben. Aber sie schwelgte nicht in Illusionen. Denn es gab nur einen Mann, den sie wirklich liebte: Sigurd, den kühnen Kämpfer, der sie so grausam betrogen hatte. Doch sein Tod war ewig.
„Möchten Sie mir etwas Gesellschaft leisten?“, sprach ein junger Mann sie an.
Sie hatte ihn bereits bemerkt, auch wenn sie in Gedanken versunken war.
Lächelnd bot er ihr ein Glas Champagner an. „Trinken wir auf die Verlockungen, die uns das Leben bietet.“
Brünhild grinste. Er war zumindest ehrlich, was seine Absichten betraf. In den vergangenen Jahrzehnten hatte sie viele Männer getroffen, die sie nur wegen ihres Aussehens begehrt hatten. Mit ihren langen, blonden Haaren entsprach sie auch genau den Vorstellungen des angeblich starken Geschlechts. Aber nur wenige von ihnen hatten mit ihrer Konstitution mithalten können. Brünhild war unersättlich, was Sex betraf. Sie wusste nicht mehr, wie viele Liebhaber sie gehabt und wie viele spontane Möglichkeiten sie genutzt hatte. Denn der Akt mit Männern brachte ihr fast dieselbe Vitalität wie die blutigen Herzen der Frauen, die sie in sich aufnahm.
„Auf den Reiz des Verborgenen“, erwiderte Brünhild.
Sie prosteten einander zu und tranken. Dabei betrachtete sie ihn, achtete auf jede seiner Regungen. Er begann, mit ihr zu flirten, erzählte etwas von sich, machte ihr Komplimente.
„Mögen Sie etwas Ruhe von all dem Trubel?“, fragte Brünhild schließlich verführerisch.
„Klingt verlockend. An was haben Sie denn gedacht?“
„Es gibt da ein nettes Zimmer im Haus, das ich zufällig entdeckt habe. Dort wären wir ungestört.“
„Ich wollte Jennings Villa schon immer mal von innen sehen.“
„Nur seine Villa?“
Der Mann grinste über das ganze Gesicht. So leicht hatte er es sich bestimmt nicht vorgestellt. Seine Erregung war kaum mehr zu übersehen. Brünhild fieberte bereits seiner Energie entgegen.
Die vergangenen Stunden hatte Jenning viele Hände geschüttelt und Gespräche geführt. Nur noch eine halbe Stunde, dann war Mitternacht. Dann musste er sich entscheiden, ob er Steinhagens Angebot annehmen sollte oder das Leben seiner Tochter riskieren wollte. Jetzt war es an der Zeit, sein Gewissen zu erleichtern.
Er suchte nach Hannah und fand sie bei ihrer Tochter, die mit Röwer Schach spielte. Der Kommissar wirkte sehr konzentriert, als er den nächsten Zug machte. Julia reagierte mit einem Grinsen. Das hatte selbst Jenning schon erfahren - das Mädchen war eine ausgezeichnete Spielerin.
„Es ist keine Schande, wenn Sie verlieren, Herr Röwer“, bemerkte Jenning in mitleidigem Ton.
„Nett, dass Sie das sagen“, erwiderte er. „Ich dachte, ich wäre gut.“
„Jeder findet irgendwann seinen Meister“, kommentierte Hannah.
Julia bewegte die Dame. „Du bist am Zug, Jochen“, äußerte sie unbeeindruckt.
„Hast du ein paar Minuten für deinen Vater?“, fragte Jenning.
Hannah sah ihn lächelnd an. „Klar.“
Er entfernte sich einige Schritte, und sie folgte ihm. Bis sie abseits standen. Leichte Unruhe packte Hannah, während ihr Vater sie schweigend ansah. Er schien mit sich zu kämpfen und um die Worte zu ringen.
Sie ahnte seine Intention. „Möchtest du mir von deinem Fehler erzählen?“,
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