Der Fluch Des Bierzauberers
»Es gibt keine Gerste und keinen Hopfen, also brauchen wir auch keine Brauerei mehr«, sagten die Zerbster.
Traurig verließ er die einstige Hochburg eines berühmten Bieres.
Je näher er Magdeburg kam, desto mehr erwartete er Zeichen der Betriebsamkeit einer großen Stadt. Diese blieben jedoch aus. Brachliegende und verwilderte Felder zogen sich bis kurz vor die Stadt. Einige kleinere bäuerliche Karren rumpelten über die schlecht gepflegten Pflasterstraßen zu den Stadttoren hinein und hinaus. Ein gelangweilter, schlaftrunken aussehender Soldat stand am Stadttor. Er winkte Ulrich durch, ohne Fragen zu stellen.
Die hingegen stellte Ulrich: »Wieso darf hier jeder hinein? Ist Magdeburg jetzt eine offene Stadt? Gibt es keine Zölle mehr?«
Der Soldat nahm seine Pfeife aus dem Mund – in einer regulären Armee wäre Rauchen im Dienst eine strafbare Insubordination gewesen – und sagte: »Wer in die Stadt möchte, soll hineingehen. Wer hinauswill, soll hinausgehen. Ist halt eine Trümmerstadt. Da gibt es nichts zu holen. Und wer was bringt, ist willkommen. Ich bin nur hier, weil es Sold dafür gibt.«
Ulrich ließ den Wachposten hinter sich und ging durch das Südertor in die ehemalige Burg der Mägde. Von außen hatte er kaum Spuren des Krieges erkannt. Die Stadtmauer war notdürftig geflickt worden, wohl auch aus der Notwendigkeit heraus, damit keine verwilderten Hunde in die Stadt hineingelangten. Die Hunde waren mit dem Ende des Krieges, der damit einhergehenden besseren Versorgungslage der Menschen und der wegfallenden Notwendigkeit, alle Tiere zu essen, zu einer regelrechten Landplage und Gefahr geworden. Kinder und Säuglinge waren nicht mehr sicher vor den hungrigen Bestien, die keinerlei Furcht dem Menschen gegenüber zeigten. Ulrich konnte eigentlich von Glück reden, dass er bis hierher völlig ungeschoren durchgekommen war. Und dass er eine Pistole besaß, um sich im Notfall zu wehren. Was er dann in der ersten Schenke erfuhr, in der er sich niederließ, war jedoch äußerst niederschmetternd.
Das stolze Magdeburg, das einstmals fünfunddreißigtausend Einwohner hatte, wurde derzeit nur noch von etwa fünfhundert Menschen bewohnt. Die Stadt war mittlerweile dem Kurfürstentum Brandenburg zugesprochen, aber auch das hatte keinen Zustrom neuer Bürger bewirkt. Und Otto von Gericke, ehemaliger Kunde des Knoll’schen Brauhauses, stellte seit 1646 einen der vier Bürgermeister dar.
»Warum müssen fünfhundert Bürger vier Bürgermeister haben?«, fragte sich Ulrich und verließ das Gasthaus.
Wie von den Fäden eines unsichtbaren, übergroßen Puppenspielers gezogen, ohne eigenen Antrieb und ohne Ziel, lief er durch die Stadt, maßlos traurig und berührt von dem, was er sah. Vier von fünf Häusern waren verwaist, verwahrlost und standen leer. Viele Trümmer säumten die Straßen. Die meisten Schäden der Magdeburger Hochzeit waren immer noch nicht beseitigt worden. An beinahe jeder Straßenecke standen verkrüppelte Invaliden und bettelten. Einige wenige unter ihnen hatten eine Drehleier oder etwas ähnliches, mit dem sie einige Kupfermünzen in den aufgehaltenen Hut hineinspielen konnten. Die meisten jedoch hatten nicht einmal dies. Ihnen fehlten Gliedmaßen, wodurch sie Johanns Mitleid erregen wollten. Mitleid, das sich bei der übrigen geschundenen Bevölkerung in engen Grenzen hielt.
Mittlerweile dämmerte auch ihm, einem Kind des Krieges, einem Menschen, der niemals etwas anderes gekannt hatte als den Krieg, welches Leid dem Land in dieser entsetzlichen Katastrophe wirklich widerfahren war. Die eine Hälfte der Bevölkerung war erschlagen worden, verhungert oder an der Pest und anderen Seuchen krepiert. Wer überlebt hatte, war bitterarm. Den Bauern mangelte es an Vieh und Saatgut, und sie waren teilweise so verzweifelt, dass sie ihr Land und sich selbst an den Landadel verhökerten und in eine noch fatalere Abhängigkeit gerieten. Die Städter waren ohne Geld und die Städte wurden erdrückt von hohen Abgaben an die schnell wechselnden Eroberer und Besitzer. Die Händler und Handwerker arbeiteten ohne Kundschaft. Einzig die Beamten erhielten Lohn. Wie sollte sich das Land so von der Katastrophe erholen?
Zu dem moralischen und sittlichen Verfall, den Ulrich und Johann während ihrer Wanderschaft so sattsam erfahren hatten, drohte nun auch der komplette wirtschaftliche und kulturelle Kollaps. Die Verluste an Kulturgut waren ebenso ungeheuerlich wie der ganze Krieg. Was nicht
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