Der Fluch Des Bierzauberers
zerstört worden war, hatte als Kriegsbeute den Weg ins Ausland gefunden.
Schließlich verharrte er erschüttert vor dem Haus in der Krockentorgasse, das genau zwischen dem Stadttor und der Kirche St. Jakob stand. Auf dem verblassten Schild mit Rußspuren stand ›Knoll’sches Brauhaus‹. Blinde, glaslose Fenster, eingetretene Türen, zerschlagenes Mobiliar im Inneren. Entgegen der Vermutung seines Vaters war das Haus damals, bei der Zerstörung der Stadt, nicht komplett abgebrannt. Er ging hinein. Sah sich um. Keine noch so kleine Erinnerung regte sich. Innen war es dreckig, und eine dicke Staubschicht bedeckte alles. Ein zerbrochener Krug lag auf dem Boden. Sein Inhalt, offensichtlich Bier, hatte einen dunklen, eingetrockneten Fleck auf den Steinplatten hinterlassen, der sich sogar jetzt, so viele Jahre später, noch konturenhaft abzeichnete. Das Feuer hatte zum Glück nicht in allen Räumen des Hauses gewütet. Dann erblickte er die verdreckten Bilder an der Wand. Würdige, ernst dreinblickende Männer mit wallenden Bärten: seine Vorfahren. Die Brauer der Knoll-Dynastie. Er nahm die Bilder von der Wand, zückte sein scharfes Messer, schnitt die Leinwände aus den Rahmen und wickelte die Bilder ineinander. Er fand einen alten Lederlappen, groß genug, um als Hülle für die Bilder zu dienen. Jetzt hatte er einen Teil seiner Erinnerungen wieder, und trug sie von nun an immer bei sich. Er fand den alten Gang zum Eiskeller. Verschlossen, unbeschädigt und unentdeckt. Er verließ die Stadt seiner Vorfahren auf dem gleichen Weg wie viele Jahre zuvor mit seinem Vater. Nur dass die Stadt diesmal nicht brannte.
8.
Wo sollte er Arbeit finden in diesem zerstörten, am Boden liegenden Teil des Landes? Er wollte sein Glück in einer der legendären Bierstädte, die alle im Umkreis weniger Tagereisen von Magdeburg lagen, versuchen. Oder sollten alle so zerstört sein wie Zerbst und Magdeburg, mit einem derart desolaten Brauerhandwerk? Drei bis vier Tagesmärsche nordwestlich von Magdeburg lag Königslutter, die Heimat des Ducksteins. Dieses leicht säuerliche Weizenbier hatte erstaunlicherweise mitten im Krieg seine Berühmtheit erlangt. Vermutlich hatten auch Söldner daran Geschmack gefunden, die ansonsten lieber Wein soffen. So war es, trotz der zerstörten Landschaften darum, bis in die Niederlande und an den preußischen Fürstenhof exportiert worden. Die kleine Stadt lag nicht allzu weit vor den Toren Braunschweigs, wo er auch noch hinwandern könnte, sollte seine Suche in Königslutter ohne Erfolg bleiben.
Die Fachwerkhäuser duckten sich geradezu im Schatten des mächtigen Doms, den Kaiser Lothar im 12. Jahrhundert mitten in Königslutter erbaut hatte, und der den gesamten Ort überragte. Brauhäuser gab es einige, deshalb versuchte Ulrich gleich beim erstbesten sein Glück und erkundigte sich nach dem Braumeister.
Ein bulliger Kerl mit einer dicken, roten Knollennase und Händen wie Schraubstöcke kam herbei und stellte sich vor als Peter Schäfer. »Ich bin hier der Braumeister.« Er hörte sich Ulrichs Anliegen an, dann bat er ihn, sich zu setzen. »Ich braue zwar Bier, aber leider gibt es nicht genug zu tun für einen zweiten Brauer.« Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Die Zeiten sind fürchterlich für unseren Stand. Alle Tage kommt ein Brauer vorbei, der Arbeit sucht. Ich würde am liebsten allen zu tun geben, aber was kann ich machen? Und Knechtarbeit wirst du nicht verrichten wollen, oder? Außerdem habe ich schon zwei.«
»Ich möchte ja nur mehr lernen«, kam bescheiden der Einwand von Ulrich. »Und das auch ohne Lohn, bis ihr seht, was ich kann.«
»Jeder würde hier arbeiten, ohne Lohn, nur für Kost und Logis«, erwiderte Schäfer. »Und bei den anderen Brauhäusern in unserer Stadt gibt es auch nichts.« Jetzt schien sich sein Mitleid zu regen für den niedergeschlagenen Jungen. »Ich sag’ dir was«, munterte er ihn auf. »Auch wenn du hier nicht arbeiten kannst, so lasse ich dich doch ein paar Tage lang über meine Schultern und in meine Töpfe hineinschauen. Da lernst du vielleicht was dazu, und du kannst mit Fug und Recht hinterher behaupten, dass du den Duckstein kennst. Und eine Brotzeit werden wir für dich auch noch übrig haben.« Ulrich erkannte, dass dies das beste Angebot war, das er seit Langem bekommen hatte und nahm es an. Vier Tage lang – viel zu kurze Tage – war er von frühmorgens bis spät in die Nacht auf den Beinen. Er lernte, dass der Duckstein, ähnlich
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