Der Fluch Des Bierzauberers
Familie. Diese Familie, das Haus Hessen, war durch Teilungen und Erbschaften in ihrer Bedeutung zu Friedrichs Geburt dramatisch gesunken, weil die Landgrafschaft innerhalb von nur zwei Generationen achtmal geteilt worden war. Und auch hierin spiegelte sich mittlerweile der Krieg wieder. Der Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel war der treueste Bundesgenosse des Schwedenkönigs und galt als Feind des Reiches. Friedrichs Onkel hingegen, Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt, war Katholik und Papist.
Ein Jahr nach Friedrichs Geburt wurden die kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Homburg so heftig, dass die Familie nach Gießen flüchtete. Aus der Ferne mussten sie ohnmächtig miterleben, wie ihr kleines Fürstentum mit Schutzgeldern ausgepresst wurde, den Bauern die Rinderherden fortgetrieben und Homburger Bürger als Geiseln – offiziell Bürgen genannt – genommen wurden. In der von Flüchtlingen völlig überfüllten Gießener Festung herrschten derweil verheerende Zustände. Hunger und Pest machten keinen Unterschied zwischen Kindern, Soldaten oder Flüchtlingen. Kein Hund, keine Katze war sicher. Die gefangenen Tiere wurden meist an Ort und Stelle getötet, gehäutet, gebraten und gegessen. Überall lagen alte, ausgetrocknete Tierfelle an den Wegesrändern oder hingen an den Zäunen.
Der Landgraf Friedrich samt Frau und Kindern schloss sich hinter dicken Mauern ein, wie auch der Rest der Bevölkerung sich nach Einbruch der Dämmerung nicht mehr vor die Tür wagte, aus Angst, vom, mit Seilen und Säcken bewaffneten, herumstreunenden Bettlergesindel erschlagen zu werden. Böse Gerüchte machten die Runde, von geschlachteten und gebratenen Menschen. Nur, niemand traute sich, diesen Gerüchten auf den Grund zu gehen.
Die gräfliche Familie blieb, geschützt durch ihre leichten Privilegien, die es auch im Elend noch gab, von der Pest und vom Hungertod verschont, und kehrte nach einen Jahr aus dem Gießener Exil zurück in die Homburger Brendelburg. Die war in schlechtem Zustand; von zwei baufälligen Türmen überblickte man einen ausgetrockneten Burggraben und alte, verfallene Mauern. Innerhalb dieser Mauern befand sich ein altes, dreistöckiges Wohnhaus sowie ein kleines Gesindehaus über einem uralten Vorratskeller. In verschiedenen einfachen Ställen waren Pferde, Kühe und Ziegen untergebracht. Im Vorhof, wegen der Brandgefahr, stand die Scheune. Da die Burg schlecht zu heizen war, spielte sich das Leben zumeist im Rittersaal im zweiten Stock ab, dem Raum mit dem größten Kamin. Den Räumen im dritten Stock – die der Damen besaßen immerhin noch gusseiserne Öfen – und allen anderen Räumen fehlte gänzlich jegliche fürstliche Ausstattung. Der sparsame Vater des Prinzen verzichtete aus Kostengründen deshalb auch auf eine weitere Renovierung der brüchigen Festungsmauern und ließ sogar im Haus nur das Nötigste reparieren. Er hielt sich, so weit es möglich war, aus dem Krieg heraus und verstarb, als Friedrich beinahe fünf Jahre alt war. Die Kinder wurden von der Mutter, Margaretha Elisabeth von Leiningen-Westerburg, und dem überschaubaren Hofstaat von zwanzig Personen großgezogen, bis der Vetter Georg II. von Darmstadt ihn 1645 zur Erziehung mit seinen eigenen Söhnen nach Marburg holen ließ. Diese Erziehung verhinderte nicht, dass der kleine Prinz wohl etwas vom Pech verfolgt war. Wenn es einen Unfall gab, war Friedrich darin verwickelt. Überliefert ist als schwerstes Unglück ein Stolpern im Gelände, welches für den Fünfzehnjährigen einen Schenkelbruch zur Folge hatte, der ihm noch Jahre später Probleme bereiten sollte.
Mit siebzehn Jahren durfte er dann die, in seinen Kreisen übliche, Kavaliersreise antreten. Dort sollte der junge Prinz den Duft der großen, weiten Welt schnuppern, an Lebenserfahrung gewinnen und sich die Hörner abstoßen. Für Menschen, die mit dem Ende des Krieges der Not und der Sorge weitgehend enthoben waren, bot die Zeit des Barocks neue, bislang ungeahnte Möglichkeiten. Alles war Theater, im echten Leben wie auf der Bühne, in der Kirche wie auf den Straßen. Angesichts von Hungersnöten, Pest und Krieg dachte niemand an morgen. Heute leben, heute alles auskosten, am nächsten Tag konnte schon der Tod vor der Tür stehen.
Diese Devise galt auch im Hause der Homburgs. Bereits der Vater und auch die älteren Brüder hatten ausgedehnte Auslandsreisen unternommen. Nach England, Schottland, Spanien, zur Bildung wie zur Unterhaltung. Friedrichs Reise führte
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