Der Fluch Des Bierzauberers
Haarpracht fuhr.
Zwei Stunden später wusste Ulrich, dass er weder nach Gardelegen noch weiter nach Münster reisen musste. Dass es reichlich Brauergesellen auf der Walz gab, schien Anton nicht zu stören oder nicht zu wissen. Auf jeden Fall nutzten beide die Gunst der Stunde, die sie hier in Weferlingen zusammengeführt hatte. Anton hatte ihm sogar gleich auf der Stelle den Brauereid abgenommen, den ersten seit seiner Lossprechung als frischgebackener Brauer in Bitburg: »Ich, Ulrich Knoll aus Bitburg, gerede und gelobe an Eides statt, meinen Fleiß zu rechter Zeit zu geben, mein Malz recht sacken und mein Fass recht ahmen, auch ganz kein Malz sonderlich schroten zu lassen, wie auch ohne Vorwissen unseres Herrn außer der Stadt zu verkaufen, noch weniger Kuhnpost – Gewürzkräuter – ins Bier zu mischen oder durch andere solches verrichten zu lassen bei der Brauer Willkür und der hohen Herrn ernster Strafe.«
Er war am Ziel seiner Reise.
9.
Sechs Wochen lang arbeitete er wie ein Besessener, um das Brauhaus auf Vordermann zu bringen. Er putzte, reparierte und improvisierte. Er kümmerte sich um den Einkauf von Gerste und Hopfen, Feuerholz und Werkzeug, verhandelte mit Handwerkern, schimpfte über die hohen Preise. Nun merkte er erst, welche Kenntnisse er sich in Winzer, in Böhmisch-Steinisch und anderswo eigentlich erworben hatte. Er lernte die Menschen kennen, erfuhr von deren täglichen Nöten, aber auch den kleinen Freuden des Lebens, und vom Hohenzollernfürsten, der über allem hier stand.
Schließlich war alles hergerichtet, um die Saison zu eröffnen. Der Michaelitag stand vor der Tür. Ulrich war bereit. Dann dachte er nach längerer Zeit wieder an seinen Vater. Und schließlich schrieb er den einen Brief, der seinen Vater bewog, sich noch ein letztes Mal, wie er dachte, auf eine große Reise zu machen, um noch einmal ein neues Leben zu beginnen:
Geliebter Vater,
so bin ich mittlerweile, nach einer langen Reise, im Reich des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, des Herrschers von Brandenburg-Preußen, angelangt. Und, was soll ich Euch schreiben, es weht ein frischer Wind durch diesen Teil des Heiligen Reiches Deutscher Nation. Alles wächst und ändert sich hier zum Guten. Der Kurfürst will Handel, Industrie und Landwirtschaft fördern. Er lässt Kanäle bauen, hat eine Post eingerichtet – die hoffentlich funktioniert, sodass dieser Brief Euch erreicht. Ja, er möchte sogar die Schweden aus dem Land vertreiben. Und er will sein Land, das unter dem scheußlichen Krieg beinahe entvölkert wurde, mit fleißigen Siedlern wieder neu beleben. Dabei ist er sehr kulant, die Couleur spielt keine Rolle. Ob Lutheraner, ob Katholik, ob Calvinist oder Jude. Hauptsache, man ist ein treuer, tüchtiger Untertan. Der Hohenzoller braucht allerlei Menschen zum Aufbau des Landes, jedweder Stand oder Beruf ist willkommen. Und so bin ich nun im Brauhaus in Weferlingen untergekommen, nicht weit weg von unserer alten Heimat Magdeburg. Das Bierbrauen ist hier gut angesehen. Wenn nächste Woche das Brauen losgeht, so wird in der Kirche eine besondere Lobrede dafür gehalten, wobei erst die Litanei und zuletzt das Te Deum gesungen werden. Es gibt Arbeit auch für Euch, dazu Friede und die Hoffnung auf Wohlstand. Ich erwarte Euch sehnsüchtig.
Grüßt bitte auch meine geliebte Schwester Lisbeth Magdalena, meine liebe Freundin Sophia Flügel sowie meinen guten Freund Johann.
Euer getreuer Sohn Ulrich,
zu Weferlingen,
am 23. September im Jahre des Herrn 1651.‹
Dritter Teil:
Der Bierprinz von Homburg –
1633 bis 1662
1.
Im März 1633, während die Familie Knoll zur gleichen Zeit in der Kakushöhle dahinvegetierte, erblickte in Homburg von der Höhe der kleine Friedrich II. von Hessen-Homburg das Licht der Welt. Das beschauliche Städtchen war während der ersten vierzehn Kriegsjahre eine Insel der Seligen gewesen, inmitten der Hölle darum – abgesehen vom chronischen Geldmangel des Fürsten. Erst um die Zeit der Geburt des Prinzen wurde die Gefahr des Krieges in Homburg direkt greifbar. Friedrich war das siebte Kind des Landgrafen Friedrich, und er sollte auch das letzte gewesen sein. Insofern hatte er eigentlich keine Chance, jemals die Herrschaft in der Nachfolge seines Vaters anzutreten, soweit man angesichts der Größe der Landgrafschaft Hessen-Homburg überhaupt von Herrschaft sprechen konnte. Immerhin durfte er sich Fürst oder Prinz nennen, denn er entstammte einer fürstlichen
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