Der Fluch des Florentiners
ihren Inhalt zusammen getragen hatte, ahnte sie, dass aufregende Zeiten auf sie zukommen würden. Zum Nachdenken über persönliche Probleme würde sie nur wenig Zeit haben.
Das kam ihr sehr gelegen, denn ihr Ägyptenurlaub hatte sie wieder einmal mit jenen grausamen Realitäten konfrontiert, die sie schon seit Jahren verdrängte. Wie oft hatte sie sich schon geschworen, nicht mehr allein – als Single – in Urlaub zu fliegen. Doch wie schon in den zurückliegenden Jahren hatte sich auch in diesem Jahr wieder keine Freundin gefunden, die Zeit oder Lust gehabt hätte, sie zu begleiten. Also hatte sie erneut allein gebucht, ahnend und fürchtend, dass sich die Erfahrungen von vielen der vergangenen Reisen wiederholen würden. Und genau das war geschehen. In den Hotels hatte sie die miesesten Einzelzimmerabstellkammern bekommen; in den Restaurants hatte man sie wie eine Aussätzige in die Ecken verbannt; an den Bars und auf den Terrassen war sie permanent von penetranten ägyptischen Männern angequatscht worden. Und den unglaublich schönen Sonnenuntergang in der Oase Fayoum hatte sie schließlich allein bewundern müssen. Sie hasste das Alleinsein, das Reisen als Single. Sie wollte sich mitteilen, ihre Begeisterung teilen, mit einem Partner teilen – nicht in sich hinein schweigen.
Sie fragte sich, was sie in ihrem Leben falsch gemacht hatte, dass es so gekommen war. Sie hatte keine Probleme, Männer kennen zu lernen. Ihre Beziehungen mit Männern waren zwar oft langjährige Beziehungen gewesen. Doch ihr wirklich großer Traum von einem Leben mit einem seelenverwand ten Mann – und mit Kindern – hatte sich nicht erfüllt. Das Schlimmste daran war, dass einige ihrer ehemaligen Partner auch heute noch, als Freunde auf platonischer Ebene, beteuerten, dass sie eine tolle, eine attraktive, ja eine außergewöhnliche Frau sei. Aber die das sagten, hatten sie alle verlassen. Keiner von ihnen war in der Lage zu erklären, warum. Oft schon hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, ob vielleicht ihre Kindheit und ihre Erfahrungen als Jugendliche in ihrem von Lieblosigkeit und Streben nach Besitz geprägten Elternhaus ein Grund für das Scheitern ihrer Beziehungen war. Ihr Elternhaus war ohne Frage eine schwere Hypothek. Ihr Vater, ein erzkonservativer Jurist, renommierter Universitätsprofessor und lange Zeit als ÖVP-Mitglied Abgeordneter im Parlament, hatte für Kinderseelen nie Zeit gehabt. Sein Denken galt ausschließlich seiner Karriere. Sein Beruf, die Villa im dreizehnten Bezirk und das Landhaus am Neusiedler See waren seine Lebensinhalte. Von seinen Kindern erwartete er, wie auch von seinen Studenten an der Uni und seiner Ehefrau, Zucht und uneingeschränkten Gehorsam. Seine moralisch - ethischen Prinzipien waren zu Hause Gesetz, sein Erfolg war die Messlatte, an dem er seine beiden Töchter, aber auch deren Freunde und Männer maß. Doch diesen Anforderungen war niemand gewachsen. Alles hatte sie versucht, es ihm recht zu machen, aber es war ihr nie gelungen. Für ihn war sie eine missratene Tochter. Eine Erklärung dafür, warum das so war, hatte sie nie gefunden. Auch nicht dafür, dass all ihre Beziehungen zu Männern letztendlich gescheitert waren. Sie wusste nur, dass ihre biologische Uhr tickte. Sie war über vierzig Jahre alt. Ihren Wunsch nach Kindern hatte sie längst reduziert – auf ein Kind. Ja, ein Kind, danach sehnte sie sich. Doch darüber nachzudenken, quälte sie. Deshalb stürzte sie sic h s eit einigen Jahren in ihre Arbeit. Und deshalb war sie heute froh, keine Zeit zu haben, um über diesen grauenhaften Ägyptenurlaub nachzudenken. Der Florentiner und diese ominösen Ritter vom Goldenen Vlies würden sie ablenken. Das war gut so.
Entsetzt starrte sie auf die Schlange wartender Touristen vor dem Eingang zur Schatzkammer. Ihre Freundin Christiane Schachert, mit der sie sich verabredet hatte, weil sie ihre Dissertationsarbeit als Kunsthistorikerin über das Burgundische Erbe geschrieben hatte, und die seit einiger Zeit in der neu gegründeten Abteilung für Marketing, Sponsoring und Event -M anagement des Kunsthistorischen Museums arbeitete, saß auf der Treppe der Botschaftsstiege vor der Hofburgkapelle. Sie lächelte ihr gequält zu.
» Grauenhaft, diese Menschenmassen! Hier wird es bald so aussehen wie in Venedig auf dem Markusplatz oder wie im Juli vor den Uffizien in Florenz «, schimpfte Marie-Claire de Vries, umarmte Christiane, küsste sie auf beide Wangen und setzte sich zu ihr auf
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