Der Fluch des Florentiners
Er war nicht da, aber sein Laden war auf. Die drei Sessel in dem kleinen Raum mit den blauen Türen und Fenster waren unbesetzt, und auch die beiden Sessel unter dem großen Euk a lyptusbaum waren frei.
Faisal Jawda freute sich. Er saß sehr gerne hier draußen im Schatten des riesigen Baumes, las Zeitung, trank seinen Chai und nutzte die halbe Stunde der Rasur, um sich zu entspannen. Danach stand ihm heute der Sinn. Im Moment lief nicht alles nach Plan. Ständig geschah etwas, das ihren Zeitplan durcheinander brachte. Vorgestern noch hatte ihr guter Freund und Bruder Ismail vom Innenministerium in Rabat für große Aufregung gesorgt, weil er sie darüber informiert hatte, dass auffällige Aktivitäten bei Interpol in Lyon zu beobachten seien. Eine Terrorismus-Sonderkommission war dort eingerichtet worden, die strengster Geheimhaltung unterlag , und daher kam ihr Verbindungsmann auch an keinerlei Information.
Trotz dieser beunruhigenden Nachricht sah es jedoch ganz so aus, als ob ihre Aktion schon in Kürze abgeschlossen werden würde. Und zwar erfolgreich! Was sollte schon noch passieren? Sobald die anderen wieder aus Wien zurück in Marrakesch wären, würden vermutlich kaum mehr als zwei Wochen vergehen, bis sie die Stadt verlassen konnten – mit viel Geld auf einem Schweizer Bankkonto.
Faisal Jawda setzte sich auf den bequemen Friseursessel unter dem Baum, kippte ihn nach hinten, kramte eine alte Zeitung aus seiner Jackentasche und legte sie sich aufs Gesicht. Die Dezembersonne ließ ihn schläfrig werden. Er nahm den Ruf des Muezzin von der nahen Kutubya-Moschee nur noch im Unterbewusstsein wahr, fühlte sich mit einem Mal sehr entspannt und entschied gerade, einen Mittagsschlaf zu halten, als kräftige Männerhände sich plötzlich von hinten um seinen Hals legten und zudrückten. Panisch riss er die Augen auf. Er wollte sich aufrichten, aber die Hände pressten ihn mit enormer Kraft zurück in den Sessel. Der Druck um seinen Hals verstärkte sich. Seine Angst artikulierte sich in einem furchterregenden, kehligen Schrei. Mit aller Kraft stürzte er nach vorne. Der Druck um den Hals war weg. Er wirbelte herum und ging geduckt in Angriffsstellung, bereit, den Angreifer abzuwehren.
» A Salemaleikum, du Schurke! Was fällt dir ein, dich hier mit deinem von Allah gestraften Körper und Geist so einfach auf meinen edlen Liegesitzen niederzulassen! «
Faisal Jawda verdrehte ungläubig die Augen. Es fiel ihm schwer zu lachen. Noch immer zitterten seine Hände. Vor ihm stand sein Freund Moussa, der fettleibige und stets grin sende Besitzer des Ladens. Ein gutmütiger Riese, der keiner Fliege der Welt etwas zuleide tun konnte, der aber eine höchst eigentümliche Vorliebe für Scherze dieser Art hatte. Faisal atmete tief durch. Warum bist du bloß so panisch?, fragte er sich. Es ist doch alles in Ordnung. Weit und breit war kein Fremder zu sehen, nichts Ungewöhnliches war geschehen. Als er sich wenige Minuten später wieder in den Sessel legte und schließlich tief und fest einschlief, löste sich aus dem Schatten eines nahen Torbogens eine männliche Gestalt und verschwand blitzschnell in einer Nebengasse. Der Mann trug helle Baggyshorts und ein T-Shirt.
Zehn Minuten später stieg derselbe Mann aus einem Renault-4-Kastenwagen auf dem Parkplatz nahe des Bab Dou ck ala. Er war nicht wiederzuerkennen. Er trug jetzt die weiten, stahlblauen Gewänder der hommes bleus der Wüste. Kopf und Gesicht waren mit einem schwarzen Tuch umwickelt, so wie es die Tuareg in den Wüsten der Sahara im Süden Marokkos zu tun pflegten. Nur seine Augen waren noch zu sehen. Es waren die dunklen, unergründlichen Augen, die viele Sarden haben.
Für einen Targi war Carlo Frattini allerdings verhältnismäßig klein, aber er fühlte sich wie einer dieser » Söhne des Windes «, wie diese Wüstennomaden in jenem Buch genannt wurden, das er sich vor seinem Abflug von Rom nach Marrakesch gekauft hatte. Er liebte dieses Buch, verschlang es geradezu, sog jede Zeile in sich auf. Zweimal hatte er den Roman Tuareg von Alberto Vasquez-Figuera bereits gelesen. Viele Tipps hatte er sich aus diesem Buch geholt. Auch die Idee, sich in Marrakesch wie ein Targi zu verkleiden, war ihm durch dieses Buch gekommen. In einem Souvenirladen in der Altstadt hatte er sich alle erforderlichen Kleidungsstücke gekauft, ei n g roßes Schwert und auch ein kleines Messer, das, so hatte er gelesen, jeder Targi versteckt im Ärmel seines Gewandes trug. Selbst
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