Der Fluch des Khan
geraten.
Die Strömung in dem abschüssigen Aquädukt war stärker, als er erwartet hatte, deshalb schob er die Füße nach vorn, legte sich flach auf den Rücken und trat mit den Flossen dagegen an, bis er nur noch im Schritttempo vorankam. In zahlreichen Kurven und Biegungen zog sich das Aquädukt an der Straße entlang, und Pitt kam sich wie auf einer Rodelbahn vor, als er an den glitschigen, mit Algen bewachsenen Betonwänden entlangflutschte, die Gegenbande touchierte und wieder zurückprallte.
Das macht ja richtig Spaß, dachte er, während er zum Himmel aufblickte und die Wipfel der hohen Kiefern betrachtete, die das Ufer säumten. Dann wichen die Bäume zurück, und die Wasserrinne führte schnurgerade über eine Lichtung. Vor sich sah er gedämpften Lampenschein, in dem sich die hohe Mauerkrone abzeichnete.
Genau genommen waren es zwei Lichtquellen, eine Lampe auf der Mauer und eine weitere, deren Schein aus dem Pförtnerhaus fiel. Dort saßen zwei Wachen vor einer großen Videowand und plauderten miteinander. Fast ein Dutzend Kameras, die rund um die Grundstückgrenzen angebracht waren, darunter auch eine unmittelbar über dem Aquädukt, lieferten ständig Live-Aufnahmen vom Geschehen rundum. Doch hier, in dieser abgelegenen Gegend, war auf den körnig grünen Bildern der Nachtsichtgeräte lediglich ab und zu ein Wolf oder eine Gazelle zu sehen. Trotzdem passten die Wachen einigermaßen auf, widerstanden dem Drang zu schlafen und vertrieben sich die Zeit auch nicht beim Kartenspiel, da sie wussten, dass Borjin keinerlei Unregelmäßigkeiten duldete.
Beim Anblick der Mauer ließ Pitt etwas Luft aus seinem Trockentauchanzug ab, sodass er ein paar Zentimeter tiefer sank. Er drehte sich kurz um, bevor er untertauchte, und sah die dunkle Silhouette von Rudi Gunn hinter sich. Hoffentlich verstand Gunn den Hinweis und tauchte ebenfalls unter.
Das Wasser war so klar, dass Pitt den Lampenschein am Tor und auf der Mauer mühelos sehen konnte. Als er näher glitt, streckte er die Füße hoch, zog die Knie an und machte sich auf ein Hindernis gefasst. Er wurde nicht enttäuscht. Kaum war er an den Lichtern zu seiner Rechten vorbeigerauscht, als er mit den Flossen auf ein Eisengitter stieß, das große Gesteinsbrocken, aber auch Eindringlinge abfangen sollte. Pitt schwamm rasch zur Seite, kniete sich hin und blickte flussaufwärts. Kurz darauf sah er etwas Schwarzes vor sich, griff zu und fing Rudi Gunn ab, bevor er gegen das Gitter prallte. Unmittelbar dahinter tauchte Giordino auf, der sich wie Pitt mit den Füßen an den Eisenstäben abfing.
Die Wachen, die nur wenige Meter weiter im Pförtnerhaus saßen, bemerkten von all dem nichts. Wenn sie besser auf den Monitor geachtet hätten, auf dem die Bilder der Kamera über dem Kanal liefen, hätten sie möglicherweise etwas Dunkles gesehen und die Sache näher in Augenschein nehmen können.
Und wenn sie ihre warme Hütte verlassen und die Ohren aufgesperrt hätten, wäre ihnen vielleicht auch das dumpfe Scharren aufgefallen, das aus dem Wasser drang. Aber sie plauderten unverwandt weiter.
Das Gitter war kein großes Hindernis, jedenfalls nicht so schlimm, wie sie erwartet hatten. Keine Querstreben, die sie mühsam hätten durchsägen müssen, nur drei senkrechte Stäbe, jeweils gut fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt. Giordino tastete sie ab, ergriff den mittleren Stab, zog sich nach unten und setzte seine Säge an. Das Eisen war so rostig, dass er es nach gut einem Dutzend Zügen durchgesägt hatte. Er nahm sich die nächste Stange vor und durchtrennte sie fast ebenso mühelos.
Dann stemmte er die Füße an den Boden, ergriff beide Stäbe unmittelbar über der Bruchstelle, drückte die stämmigen Schenkel durch und bog die Eisenstangen so weit nach vorn, dass am Boden des Aquädukts ein schmaler Durchgang frei wurde.
Gunn kniete in der Wasserrinne, als ihn Giordino am Arm ergriff und zu dem Loch lotste. Gunn tastete die Öffnung ab, stieß mit einem kurzen Flossenschlag hinein und wand sich um den verbliebenen Stab. Dann drehte er sich um, trat gegen die Strömung an, bis er Pitt und Giordino hinter sich hindurchgleiten sah – und ließ sich dann mitziehen. Sie trieben durch ein Betonrohr, das unter der Umfriedungsmauer hindurchführte, glitten in tiefer Dunkelheit weiter dahin, bis sie plötzlich in einer Wasserrinne auf der anderen Seite landeten.
Gunn tauchte auf und sah gerade noch, wie eine schmale Brücke über ihm vorbeihuschte. Er versuchte
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