Der Fluch des Khan
sich rasch zu einem Gang an Backbord. Dann blieb er stehen, drückte sich an eine Wand und spähte um die Ecke. Noch immer befand sich nirgendwo eine Menschenseele. Jetzt, da sie vom Kai aus nicht mehr gesehen werden konnten, atmete er ruhiger, während er, gefolgt von Giordino, langsam vorrückte.
Sie schlichen nach vorn, bis sie auf einen ebenso menschenleeren Quergang stießen, der zwischen den Aufbauten hindurchführte. Der von einer Deckenlampe in schummrig gelbes Licht getauchte Gang war menschenleer. Irgendwo in der Ferne summte ein Stromgenerator wie ein Schwarm Zikaden.
Pitt ging unter der Lampe hindurch, zog den Pulloverärmel über die rechte Hand, reckte sich hoch und schraubte die Glühbirne heraus. Da der Schein der Kailampen nicht bis hierher drang, war es nahezu stockdunkel.
Als sie an der Ecke standen, hörten sie hinter sich das Schloss einer Kabinentür klicken. Sofort drückten sich beide Männer in den Seitengang, wo sie von der Tür aus nicht gesehen werden konnten, Links von Pitt befand sich ein offener, schummrig erleuchteter Raum, in den er sich rasch verzog, gefolgt von Giordino, der die Tür hinter ihnen schloss.
Während sie an der Tür standen und auf Schritte horchten, ließen sie den Blick durch die Abteilung schweifen. Sie standen offenbar in der Schiffsmesse, die zugleich auch als Konferenzraum genutzt wurde und überhaupt nicht zu dem sonst so verlotterten Frachter passte. Auf einem kostbaren Perserteppich stand ein auf Hochglanz polierter Mahagonitisch, der sich quer durch den Raum erstreckte und von wuchtigen Lehnstühlen mit Lederpolstern umgeben war. Mit seinen schweren Tapeten, den geschmackvollen Kunstdrucken, die hier und da an der Wand hingen, und den künstlichen Pflanzen erinnerte er fast an die Lobby des Waldorf-Astoria. Auf der anderen Seite befand sich eine Doppeltür, die in die Galley führte, und an der Wand neben Pitt war ein großer Bildschirm angebracht, der offenbar über Satellitenanschluss verfügte.
»In so einer gemütlichen Umgebung möchte man doch am liebsten eine Portion Räucherfisch mit Borschtsch vertilgen«, grummelte Giordino.
Ohne darauf einzugehen, trat Pitt vor eine Reihe von Karten, die an die Wand gepinnt waren. Offenbar Computerausdrucke, die vergrößerte Abschnitte des Baikalsees zeigten. An diversen Stellen rund um den See waren rote konzentrische Kreise von Hand eingezeichnet, die vor allem an der Nordspitze dicht an dicht nebeneinanderlagen und teilweise das Ufer überlappten, wo eine in west-östlicher Richtung verlaufende Pipeline zu erkennen war.
»Bohrstellen?«, fragte Giordino.
»Vermutlich. Das wird den Umweltschützern aber ganz und gar nicht passen«, erwiderte Pitt.
Giordino horchte an der Tür, bis die Schritte draußen an einer Leiter verklangen. Dann öffnete er die Tür einen Spalt und warf einen kurzen Blick in den wieder menschenleeren Gang.
»Niemand in der Nähe. Und nirgendwo eine Spur von Passagieren.«
»Ich möchte mir das Beiboot mal ansehen«, flüsterte Pitt.
Vorsichtig schoben sie die Tür auf, schlichen zurück zum Backbordgang und drückten sich an den Aufbauten vorbei in Richtung Vordeck, auf dem sie zwei weit auseinanderliegende Frachtluken erkennen konnten. An der Backbordwand stand ein aufgebocktes Beiboot, ziemlich ramponiert, an dem noch die Trosse hing, die zu einer Winde führte – ein Zeichen dafür, dass es vor Kurzem erst benutzt worden war.
»Das liegt genau im Blickfeld der Brücke«, sagte Giordino und deutete mit dem Kopf nach oben, auf ein diffuses Licht, das rund fünf Meter über ihnen aus dem Brückenfenster fiel.
»Aber nur, wenn auch jemand in die Richtung blickt«, gab Pitt zurück. »Ich schau mir das Ding kurz an.«
Während Giordino im Schatten blieb, huschte Pitt, der sich dicht an der Bordwand hielt, tief geduckt über das offene Deck.
Im gedämpften Schein der Kailaternen und der Brückenbeleuchtung warf Pitt nur einen fahlen Schatten, als er vorrückte. Aus dem Augenwinkel blickte er kurz auf die Trucks und die Handvoll Männer, die da herumstanden. Von dort aus dürfte er in schwarzer Hose und schwarzem Pullover kaum zu erkennen sein. Doch machte er sich wegen der Leute auf der Brücke Gedanken.
Er sprintete regelrecht zu dem kleinen Boot, duckte sich unter dem Bug hindurch und drückte sich neben der Bordwand in den Schatten. Als sein Herz wieder langsamer schlug, horchte er auf verdächtige Geräusche, doch alles blieb ruhig. Nur ein paar gedämpfte Laute aus der
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