Der Fluch des Lono (German Edition)
hier.«
»Marathon?«
Ich musterte ihn. Seine Zähne drängten unter den Lippen hervor und seine Augen waren nur noch rote Schlitze. Die Wirkung des Baldrians würde bald nachlassen. Womöglich würde er mir ohne ein Stimulans irgendwelcher Art wegsterben.
Ich bot ihm die Flasche Glenfiddich an, die er gierig mit beiden Händen an sich riss und mit einem heiseren Klageton an die Lippen setzte. Er schluckte einmal, stieß einen animalischen Grunzlaut aus und kotzte übers ganze Bett.
Ich bekam ihn gerade noch zu fassen, bevor er auf den Boden fiel, und schleppte ihn ins Bad. Die letzten Meter krauchte er ohne Hilfe auf allen vieren, aber unter der Dusche sank er kraftlos auf die Knie.
Ich drehte gleichzeitig beide Hähne bis zum Anschlag auf und schloss die Tür, damit seine Frau und seine Tochter seine abartigen Schreie nicht hörten.
Die Party am Abend war ein Reinfall. Zum Dinner kamen wir zu spät, und überall empfingen uns »No Smoking«-Schilder. Ralph versuchte sich unter die Leute zu mischen, sah aber so krank aus, dass keiner der Gäste mit ihm sprechen mochte. Viele waren Weltklasseläufer, fanatische Gesundheitsapostel, und Ralphs Anblick ließ sie erschaudern. Der Aloe-Brei hatte seinen Rücken halbwegs kuriert, aber er bewegte sich immer noch wie ein Schlaganfallrekonvaleszent, und seine gesamte physische Erscheinung stimmte nicht gerade heiter. Er humpelte baldrianbedröhnt mit seinem Skizzenblock von Raum zu Raum, bis ihn schließlich ein Mann
im silbernen Nike-Overall nach draußen führte und ihm riet, sich in die Leprakolonie auf Molokai einweisen zu lassen.
Als ich ihn fand, lehnte er am Stamm eines Affenfruchtbaums am entfernten Ende der Hartholzterrasse und stritt sich erbittert mit einem Fremden über Marihuana.
»Eine ganz schreckliche Sucht ist das«, keifte er. »Allein vom Geruch wird mir schon übel. Ich kann nur hoffen, dass Sie im Gefängnis landen.«
»Du versoffener Hundsfott«, sagte der Fremde. »Leute wie du kosten unser Marihuana den guten Ruf!«
Ich trat hastig zwischen die beiden und ließ dabei meinen vollen Becher Bier auf die Terrasse fallen. Flink wie eine Eidechse sprang der Fremde beiseite und ging in Karateposition. »Fass mich nicht an!«, brüllte er.
»Du landest ganz bestimmt hinter Gittern«, sagte ich zu ihm. »Ich hatte dich gewarnt, diesem Mann Drogen zu verkaufen! Siehst du nicht, dass er krank ist?«
»Was?«, schrie er. Dann ging er auf mich los und trat brutal mit den Stollen seines Laufschuhs nach meinen Beinen. Aber er verfehlte sie, verlor das Gleichgewicht und stürzte mir entgegen. Ich drückte ihm meine Zigarette ins Gesicht, und er taumelte zwischen uns herum, wie wild nach der glühenden Asche an seinem Kinn fuchtelnd.
»Verschwinde!«, rief ich. »Wir wollen keine Drogen! Behalt deine gottverdammten Drogen für dich!«
Andere Gäste hielten den Mann in Schach, während wir davoneilten. Die Limo wartete am Ende der Auffahrt. Der Fahrer sah uns kommen, ließ den Motor an,
sammelte uns während der Fahrt auf, gab Gummi und raste mit kreischenden Reifen aus der Auffahrt. Auf dem Weg zum Hotel bekam Ralph zwei Krampfanfälle. Der Fahrer reagierte hysterisch und wollte an einer Ampel auf dem Waikiki Boulevard einen Krankenwagen anhalten, aber ich drohte, eine Zigarette in seinem Nacken auszudrücken, wenn er uns nicht schnellstens zum Hotel fuhr.
Dort angekommen schickte ich ihn zur Party zurück, um die anderen abzuholen. Der samoanische Nachtportier half mir, Ralph in sein Zimmer zu tragen. Anschließend kaute ich zwei Beutel Baldrianwurzeln und fiel ins Koma.
Die nächsten paar Tage verbrachten wir mit intensiver Recherche. Keiner von uns hatte den blassesten Schimmer, was sich bei einem Marathon abspielte oder warum die Leute überhaupt mitliefen, und daher hielt ich es für angebracht, ein paar Fragen zu stellen und uns vielleicht mal unter die Läufer zu mischen. Das klappte auch ganz gut, nachdem Ralph endlich kapiert hatte, dass wir nicht nach Guam unterwegs waren und es sich bei Running nicht um ein politisches Magazin handelte. Gegen Ende dieser Woche waren wir hoffnungslos verwirrt vom Läuferkauderwelsch wie »Kohlenhydratspeicher«, »saure Muskeln«, »Pronation«, »Vorderfuß/Ferse-Theorien«; obendrein hatte man uns so reichhaltig mit rätselhaftem Werbematerial zugeschüttet, dass ich mir einen neuen Pierre-Cardin-Seesack kaufen musste, um das Zeug zu transportieren.
Wir besuchten alle Vorveranstaltungen des
Weitere Kostenlose Bücher