Der Fluch des Lono (German Edition)
wechselte die Hosen, als das Boot kenterte. Er musste zwei Stunden lang unter dem Boot in einer Luftblase ausharren, bevor wir ihn rausholen konnten. Wir tauchten mit Sauerstofftanks unter ihn, packten ihn an den Beinen und zogen ihn ungefähr sechs Meter nach unten, bevor wir ihn schließlich raufholen konnten.« Er schüttelte den Kopf und ließ das Grinsen. »Jesus«, sagte er. »Ich hoffe, so was muss ich nie wieder erleben. Er war
splitternackt und total hysterisch, als wir ihn schließlich auf dem Kai hatten. Grausam. Die ganze Meute lachte ihn aus, und das machte ihn nur noch verrückter. Einer der Burschen, die ihm aus dem Dingi helfen wollten, hat immer noch überall auf dem Arm die Abdrücke seiner Zähne. Anschließend schloss er sich in einem Auto ein, und wir mussten eine Scheibe einschlagen, um ihn rauszuholen.«
»Das Boot hatte Totalschaden«, fügte er hinzu. »Wahrscheinlich so um die 50 000 oder 60 000 Dollar. Die Überreste sanken und blockierten fünf Tage lang die Hafeneinfahrt.«
Solche Wellen sind an der Kona-Küste selten, denn dort ist das Wasser gewöhnlich friedlicher als überall sonst auf den Inseln – außer wenn das Wetter umschlägt und der Wind von Westen her bläst.
Mark Twain hat nicht gelogen – wenigstens nicht, was den Pazifischen Ozean im Winter betrifft. Die Kona-Küste im Dezember ist die Hölle auf Erden. Höchstens ein dummdreistes Säugetier würde sich hier in die Brandung wagen – und das, obwohl der Strand auf der Leeseite der Großen Insel liegt, der windgeschützten also.
Gott allein weiß, was sich auf der Luvseite abspielt, in der Gegend von Hilo … dort liegt die »wet coast«, wie es so schön heißt, und selbst Immobilienmakler mahnen, sich unter keinen Umständen dorthin zu begeben.
Vor Kona warnen sie allerdings nicht … und daher fällt diese Aufgabe mir zu; zumindest solange das Gras grün ist und die Flüsse gen Meer fließen. Die Kona-Küste von Hawaii mag für ein paar Stunden am heißesten Tag im Sommer ein lohnender Ausflugsort sein – aber im Winter traut sich nicht mal ein Fisch in diese Gegend: Wenn dich die Brandung nicht killt, dann tut es die Flut, und jedem, der versucht, dir was anderes weiszumachen, sollte man die Zähne mit einem Stemmeisen ausschlagen.
Unser Leben lang haben wir vom »Stillen Ozean« gehört, vom »sturmlosen Pazifik«, von der »ruhigen und erbaulichen Überfahrt zu den Sandwich-Inseln« 2 und von den »stetig wehenden Passatwinden«, die unveränderlich seien und nie »umschlagen«; als Kinder haben wir gelesen, wie dieser eingebildete alte Esel Balboa von einer hohen Klippe aus auf eine weite See herabblickt, die ruhig und friedlich wie ein Fischteich daliegt, wie er vor Entzücken einen Freudentanz aufführt – was Spanier bekanntlich bei jeder Gelegenheit tun –, wie er ein paar Worte in seiner Muttersprache brüllt, die Fahne seiner Nation schwenkt und seine großartige Entdeckung »Pazifik« nennt. So hat er eine Lüge in die Welt gesetzt, die Generationen von Schülern in die Irre führte und führen wird, solange der alte Ozean existiert. Wenn ich damals dabei gewesen wäre, mit meinem heutigen Wissensstand, dann hätte ich zu diesem Balboa gesagt: »Also, wenn Sie sich dann ausreichend zur Schau gestellt haben auf diesem bemerkenswerten Felsen und mit Tanzen fertig sind, dann packen Sie lieber Ihre Siebensachen und machen Sie, dass Sie fortkommen, denn Sie waren etwas voreilig, als Sie diesem schlafenden Knaben einen Mädchennamen gaben, ohne sich zuvor nach seinem Geschlecht zu erkundigen.«
Dieser Balboa wäre der Wahrheit wohl nähergekommen, wenn er den Ozean »Vier-Monats-Pazifik« getauft hätte. Ich habe erfahren, dass in den Sommermonaten durchaus gutes Wetter, ruhige See und eine stete Brise vorherrschen. Zusätzlich gibt es am Frühlingsende und zu Herbstbeginn einen Monat und ein paar Tage schönes Wetter. Während der übrigen sieben oder acht Monate des Jahres kann man mit recht großer Wahrscheinlichkeit mit Gegenwinden und Rückenwinden rechnen und mit Winden von achtern und Winden von ein paar Strich über achteraus und Winden, die senkrecht von unten nach oben wehen, und wieder anderen Winden, die so schnurgerade von oben nach unten blasen, dass der Vorbesan-Leesegel-Klüverbaum ein Loch in sie hineinbohrt, so glatt wie ein Teleskop. Und die See rollt, springt, wogt und brandet unter dem Schiff, dass es abwechselnd hoch- und hinunter-, hin- und hergeworfen
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