Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
hinsichtlich der Blutflecken kam einer Untertreibung gleich. Als Gefangener der öffentlichen Aufmerksamkeit mußte Lysaer seinen Widerwillen einem Diplomaten gleich verbergen. Ob sie nun auch nobler Abstammung sein mochten, billigten diese Menschen doch Raub und Gesetzlosigkeit. Bestürzt erkannte der Prinz, der eines Tages regieren sollte, daß das feine Tuch, die Juwelen, ja sogar die Teller und Bestecke auf den Tischen nichts anders als die Beute von Generationen voller Hinterhalt und Mord waren. Standesgemäßer Handel fand unter diesen Clans nicht statt, sie kannten sich lediglich mit Waffen und Kundschafterei aus und hatten einen räuberischen Hang zu Überfällen entwickelt. Erschrocken über seine zitternden Hände legte Lysaer seine Gabel ab. Sein durchaus pfiffiger Versuch, das Thema zu wechseln, wurde von seinem Halbbruder zunichte gemacht, dessen offenkundiges Amüsement ihre Gastgeber zu weiteren Geschichten über ihre Raubzüge ermunterte.
Aufs Unangenehmste an die Vergangenheit erinnert, verging Lysaer der Appetit. Arithon war gemeinsam mit den Piraten von Karthis über das Meer gesegelt und war dementsprechend unempfindlich gegenüber derartigen Erzählungen. Für einen Mann, dessen Hang zur Zurückgezogenheit der Pfeiler eines Charakters ohne jede Gnade zu sein schien, mutete es beinahe pervers unpassend an, daß er keinerlei Groll hinsichtlich der groben Behandlung auf dem Paß offenbarte.
Der Musiker, der Felirins Lyranthe neben dem Feuer gespielt hatte, besaß die geschickten Finger eines vollendeten Künstlers, doch diese Klänge waren ganz sicher nicht geeignet, die verwerfliche Freude an der Gewalt in dieser Nacht zu rechtfertigen. Unter seelischen Schmerzen und durch das Temperament der tysanischen Clanangehörigen isoliert, bemühte sich Lysaer vergeblich, seinen Gleichmut zu bewahren. Zu oft hatte er die schwerarbeitenden Kaufleute unter den unverschämten Angriffen der s’Ffalenns leiden sehen, als daß er sich hier noch hätte gefällig zeigen können. Die grobe Ungerechtigkeit hatte einen bitteren Geschmack hinterlassen, der sich nun gegen jede Gruppe richtete, die sich anmaßte, aus Gewinnsucht zu rauben. Dennoch ertrug Lysaer tapfer das Mahl. Seine Höflichkeit als Gast gestattete ihm nicht, sich einfach zurückzuziehen. Distanziert, doch mit königlichem Anstand lauschte er den wilden Geschichten, bis die Tafeln für das eigentliche Fest fortgeräumt wurden. Erst dann erlaubte ihm sein Gewissen, sich ratsuchend an Asandir zu wenden.
»Wie kann ich diese Clans regieren?« verlangte er zu erfahren. »Die Städter sind genauso Bürger Tysans wie sie. Wie kann es gerecht sein, Räuber und Diebe als Herzöge über die Handwerker zu stellen, die zuvor Opfer ihrer Gesetzlosigkeit wurden?«
Asandir hörte auf, über irgend etwas auf der anderen Seite des Saales zu sinnieren und sah den Prinzen gebieterisch an. »Übt Toleranz, Euer Hoheit, zumindest solange, bis Ihr am Tisch eines Stadtregenten gesessen und den Prahlereien seiner Kopfgeldjäger gelauscht habt. Wo ein Städter seine Güter einbüßt, da zahlen die Clans mit dem Blut ihrer Verwandten und Nachkommen. Jene Menschen, welche die Städter als Barbaren bezeichnen, haben zusehen müssen, wie ihre Kinder wie Jagdwild geschlachtet wurden, wie ihre Frauen, Schwestern und Töchter gnadenlos vergewaltigt und ermordet wurden. Sie bewohnen die Wildnis, weil sie an jedem anderen Ort verfolgt werden.«
Die Hände im Schoß verkrallt, atmete Lysaer tief ein, um Zeit für eine Entgegnung zu gewinnen, doch der Zauberer kam ihm zuvor. »Denkt nur nicht, daß ich den Lebensstil der Clans oder den der Städter rechtfertigen will. Ich versuche nur, Euch das Übel begreiflich zu machen, das seit Daviens Rebellion über dieses Land gekommen ist. Wenn das Sonnenlicht wieder den Boden erreicht, dann werden wir alle für den Frieden kämpfen müssen. Ihr werdet genug Zeit haben, Euch vorher mit den Problemen vertraut zu machen, und Ihr müßt nicht auf Unterstützung und Rat verzichten, wenn Ihr einmal den Thron besteigt.«
Ihr Gespräch wurde durch die Darbietungen zur Unterhaltung der Gäste unterbrochen. Nach einer beeindruckenden Demonstration der Messerwerfer wurde ein Schwerttanz vorgeführt, eine komplizierte Darbietung, die lediglich von dem rhythmischen Klang gekreuzter Schwerter begleitet wurde. Bewundernd applaudierte Lysaer der Vorstellung. Zwar hatte er ähnliche Übungen auch schon in Amroth zu sehen bekommen, doch dort waren die
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