Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
»Überladung. Dieser Zauber erscheint als Schatten, weil er Energie absorbiert, um seine Existenz aufrecht zu erhalten. Aber das Gleichgewicht, auf dem seine Existenz aufbaut, ist nicht unzerstörbar. Ein überraschender Energiestoß kann so einen Zauber manchmal ausbrennen lassen.«
Lysaer bekam keine Gelegenheit, Arithon zu fragen, was geschehen wäre, wenn er bei der Handhabung seiner Gabe versagt hätte. Von einem Trümmerhaufen glitt ein weiterer, identischer dunkler Fleck herab. Gleich darauf gesellte sich ein zweiter dazu.
Arithon beherrschte sie durch seinen Willen und richtete eine Barriere gegen die dunklen Flecken auf. Mit brennenden, grünen Augen beobachtete er, wie die Flecken gegen seinen Schutzzauber drängten. Er verstärkte seine Bemühungen, als drei weitere Schatten hinter einem umgestürzten Podest hervorkrochen.
»In Aths Namen, hier wimmelt es ja nur so von denen.« Nervös blickte Lysaer von einer Seite zur anderen und rang sich unter größter Mühe die Ruhe ab, die er benötigte, um seine Gabe zu beherrschen. Arithon sagte nichts. Zwar lag das Tor kaum mehr als einen Steinwurf von ihnen entfernt, doch schien es nun unerreichbar zu sein. Von der Notwendigkeit getrieben, sondierte der Prinz die Quelle seiner Macht und schlug zu.
Ein Blitz glühte auf. Von der gleißendhellen Strahlung geblendet, schrie Arithon auf. Sand, Barriere und Schatten verschmolzen zu einem funkensprühenden Brandopfer. Ein Wirbel heißer Luft wehte von den umgebenden Ruinen himmelwärts. Für einen winzigen Augenblick der Verblüffung geriet Lysaer ins Taumeln.
Feste Hände legten sich auf seine Schultern. »Nicht stehenbleiben.« Arithon schob ihn vorwärts.
Lysaer tat einen holprigen Schritt. Als seine Sinne sich von der Explosion des Lichtes erholten, erblickten seine Augen das Bild eines Alptraumes. Arithons Ward dehnte sich wie eine Blase über ihnen aus; Schatten schlugen gegen seine Wände, geifernd, drängend und unstillbar hungrig versuchten sie, zu ihren Opfern im Inneren hindurchzudringen. Der Prinz betrachtete seinen Halbbruder. Arithons Gesicht war angespannt und schweißüberströmt, während Schatten das letzte Licht des Tages durchkreuzten. Er war blaß vor Anstrengung. Lysaer fürchtete, daß sie das Tor nie erreichen würden, wenn Arithon an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stoßen sollte. Sekunde für Sekunde verdichteten sich die Schatten, und mit jedem Schritt wurde Arithons Verteidigungswall schwächer.
Lysaer sammelte seine Kraft und schlug zu. Blitze flammten auf und das gleißende, weiße Licht versengte eine ganze Horde der Schatten. Der Prinz lief über einen Boden, der so heiß war wie erhitztes Metall. Entschlossen, der magischen Bedrohung Mearths zu entkommen, verkleinerte er die Distanz, die ihn von dem Weltentor trennte. Neben ihm baute Arithon eine neue Barriere auf, denn die Schatten folgten ihnen noch immer. Aus Rissen in Mauern und Steinquadern, aus Spalten im Sand quollen die dunklen Flecken hervor. Zu einem langsameren Tempo gezwungen, bewegten sie sich durch einen Wirbel umherhuschender Gestalten.
Rasselnd strömte die Atemluft durch Lysaers Kehle. »Ich glaube, die Energie des Lichts zieht sie an.«
»Ohne sie sind wir am Ende.« Zu Tode erschöpft stolperte Arithon. Fast wäre er gestürzt. Als hätte sein Stolpern den Schatten seine Schwäche signalisiert, kamen sie näher und drängten sich mit unermüdlicher Ausdauer gegen die Barriere.
Lysaer packte das Handgelenk seines Bruders. Er sammelte sich, drängte voran und schlug zurück. Die Druckwelle erschütterte Mearth. Schlacke überzog die herabstürzenden Steine. Verzweifelt tauchte der Prinz in größere Tiefe hinab. Licht brauste hervor, schmolz den Sand zu Glas und weckte einen heulenden, unbeständigen Wind. Arithon taumelte wie eine Puppe gegen die Schulter seines Halbbruders, und sie taten die nächsten Schritte in gegenseitiger Umklammerung.
»Bei Sithaer, gebt ihr denn nie auf?« Die Qual erschöpfter Hoffnung begleitete Lysaers Aufschrei. Obwohl das Tor nur wenige Schritte entfernt war, konnte er nichts als Dunkelheit erkennen. Unter dem Druck der erschreckenden Erkenntnis, daß der Bann ihn seiner Kraft beraubte, trat Lysaer leichtfertig vor und lenkte all seine Wahrnehmung auf seine Gabe.
Arithon fing seinen Halbbruder in demselben Augenblick auf, in dem er seine Macht freisetzte. »Ruhig, Lysaer.« Mit seinen Schatten dämmte er den wilden Angriff ein, doch er war nicht schnell genug, um den
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