Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Der Feuerschein überzog die beiden Gestalten mit einem bronzefarbenen Glanz, der an Statuen erinnerte. Alles sah nach einer langen Wartezeit aus, also lehnte sich Dakar seufzend auf seinem Stuhl zurück und streckte die schmerzenden Füße von sich. Praktisches Denken brachte manches Mal mehr ein als Prophetie und Geduld, und da Asandir zur Abwechslung einmal ein recht komfortables Quartier gewählt hatte, beschloß Dakar, seine Zeit nicht mit Ärger zu verschwenden. Einem simplen hedonistischen Prinzip folgend kuschelte er sich an die Lehne und schlief ein.
Als Dakar allmählich leise zu schnarchen begann, besserte sich Asandirs Stimmung langsam. Seine Finger strichen schwarzes Haar aus einem Gesicht, dessen Züge ihm nur zu bekannt waren, und ein belustigtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »So, unser Prophet hält dich also für einen Diener, was?«
Trotz seines Humors überschattete Trauer die Worte des Zauberers. Wie konnte ein königlicher Sohn derer zu s’Ffalenn den grausamen Mißhandlungen zum Opfer gefallen sein, von denen sein junger Körper Zeugnis ablegte? Der Anblick tat ihm weh. Dascen Elur mußte sich seit der Zeit, in der die Bruderschaft der Sieben das Weltentor nach dem Untergang der Sonne Atheras versiegelt hatte, sehr verändert haben.
Im Stillen bat Asandir um Vergebung für die Vergangenheit, während er die sich schälende, sonnenverbrannte Haut untersuchte. Dann schloß er die Augen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Geist. So schnell, direkt und sauber wie ein chirurgischer Schnitt hätte er die oberflächlichen Lagen des Gedächtnisses durchdringen müssen, ohne den dahinterliegenden Willen zu stören, doch entgegen all seiner Erwartungen schrie der s’Ffalenn auf. Sein Körper wand sich im Griff des Zauberers, und er schlug die blinden Augen auf.
Asandir zog sich erschreckt zurück. »Friede«, sagte er in der alten Sprache. Das Wort legte sich wie eine Schlinge über das aufgewühlte Bewußtsein. Aufmerksam wie ein Falke wartete der Zauberer darauf, daß sich die Augen, die so grün waren, wie es der Smaragd des Schwertes versprochen hatte, vernebelten und wieder zufielen.
Nachdenklichkeit befiel Asandirs Geist. Irgendwo hatte dieser Prinz eine Ausbildung in den Künsten der Macht erhalten: Sein Geist war versperrt und seine Macht beachtlich, wenn seine Verteidigungsfähigkeit ihm auch außerhalb des Wachzustandes erhalten blieb. Vorsichtig streckte der Zauberer die verletzten Glieder aus. Er hatte keine andere Wahl als hindurchzubrechen, nicht nur, um den Schaden zu beheben, den der Fluch von Mearth hinterlassen hatte. Auf diesem Mann und dem s’Ilessid-Erben ruhten die Hoffnungen eines ganzen Zeitalters.
Asandir beruhigte sich und begann von neuem. Sanft verschmolz er mit dem Geist unter seinen Händen, so gleichmäßig wie Wasser trockenen Filz durchfeuchtet. Trotz seiner Vorsicht bemerkte der Sproß derer zu s’Ffalenn erneut sein Tun. Unbehagen durchdrang die Verbindung, und der Zauberer fühlte, wie sich eine Gänsehaut über die Haut unter seinen Händen legte.
»Ruhig.« Asandir hielt den Kontakt fließend, zog sich stets zurück, wenn der Geist, den er untersuchte, nach ihm zu fassen versuchte. Er drängte nicht, sondern wartete geduldig wie ein Felsen. Endlich stellte der Mann seine eigene Identität dem Eindringen des Unbekannten entgegen. Arithon; das Wort erregte Asandirs Aufmerksamkeit. Wer auch immer diesem Prinzen seinen Namen gegeben hatte, hatte auch gewußt, warum er das tat, denn die paravianische Bedeutung des Namens war Schmied, nicht im handwerklichen Sinne, sondern bezogen auf die Geschicke.
Die Verblüffung des Zauberers setzte Gegenwehr frei. Asandir wich dem Angriff aus und formte seinen Willen zu einem Spiegel, der Arithons Verteidigungsschläge auf sich selbst zurückwarf. Der Herr der Schatten konterte. Ehe aber der Zauberer sich in dem Labyrinth reflektierter Selbstheit verfangen konnte, zog er sich in eine Haltung offensichtlicher Passivität zurück. Über seinem wachsamen Geist lag jedoch ein Wille, so scharf wie ein Messer. Dem zu begegnen setzte Asandir ein Wort frei, das voll und ganz auf Mitgefühl abgestimmt war: »Arithon.«
Nichts geschah. Überrascht hielt Asandir inne. Der Prinz konnte nur ein Sterblicher sein. Die Logik bestärkte seine ursprüngliche Vermutung. Ath wußte, wie Leid einen Geist verändern konnte, und Arithon hatte mehr davon erlebt als andere Männer. Abrupt entschloß sich Asandir zu einem
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