Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
zweiten, kraftvollen Vorstoß.
Dieses Mal brach der Widerstand, doch nicht auf die Weise, die Asandir erwartet hatte. Der Herr der Schatten glitt selbst über seine Barrieren hinaus, als hätte die Erkenntnis der Stärke seines Gegenspielers ihn zu einem verzweifelten Hilferuf animiert. Über diese Schwelle stürmten nun Bilder, gespickt mit den giftigen Widerhaken des Gewissens des s’Ffalenns; doch da gab es noch etwas: Asandir erkannte die Hellsicht derer zu s’Ahelas, die Ursache und Wirkung miteinander zu verknüpfen wußte. Aber so erstaunlich diese Erkenntnis auch war, der Zauberer bemerkte sie doch kaum.
Mitfühlend mit dem Geiste Arithons verbunden, wußte der Zauberer von dem Achterdeck voller Leichen, sah durch einen Vorhang aus Tränen die Finger eines Vaters, die sich um den Schaft eines Pfeiles zwischen Hals und Herz schlossen. Die mühsam hervorgestoßenen Worte des Sterbenden verloren sich in dem Schlachtenlärm. »Sohn, du mußt den Zweimaster in Brand setzen. Überlasse mich Dharkaron. Ich hätte dich nie bitten sollen, Rauven zu verlassen.«
Feuer flackerte auf, verbreitete seine Hitze über der Szene, doch seine Existenz schien unwichtig, verglichen mit der katastrophalen Erschöpfung des Geistes, der die Fackel dirigierte. »Das Schicksal selbst ist mein Zeuge, du hast recht getan, mich zu rufen!« Aber Arithons Schrei donnerte gegen das Krebsgeschwür der Selbstzweifel. Hätte er sich den Pflichten eines Erben von Karthan verweigert, so hätte er nie vor der qualvollen Entscheidung gestanden, sich den Mißbrauch seiner Zauberkräfte zu verbieten, wohlwissend, daß seine Skrupel Leben kosteten, die seine Macht hätte retten können. Funken flogen auf die blutverschmierte Haut seines Vaters und verloschen wie die niedergemetzelten Landsleute aus Karthan, ohne eine Spur zu hinterlassen.
»Verbrenne sie, Junge. Ehe es zu spät ist … laß mich in Freiheit sterben …«
»Nein!« Arithons Protestschrei hallte durch die sternenlose, unnatürliche Nacht. »Ath erbarme dich, meine Hand hat dein Schicksal bereits besiegelt.« Dann griffen derbe Seemannshände um ihn herum und entwanden ihm die Fackel. Flammen breiteten sich über Besan- und Großsegel aus. Das Segeltuch explodierte zu einem Inferno, angeheizt durch eine überraschende Windböe. Trümmer wirbelten durch die Luft und prasselten zischend auf das nasse Deck, während der Mast noch immer brannte; ein flammendes Kreuz, das ätzenden Rauch verbreitete.
»Beweg dich, Bursche!« sagte der Seemann. »Das Fall ist beinahe durchgeschmort. Die Gaffel wird dich erschlagen.«
Doch statt dessen fiel Arithon neben seinem Vater auf die Knie. Verzweifelt bemühte er sich, die Blutung zu stoppen, die jener unglückselige Pfeil verursacht hatte. Dann aber rissen ihn dieselben Hände fort, die ihm zuvor schon die Fackel entwunden hatten.
»Dein Vater ist verloren, Junge. Ohne dich ist Karthan ohne König.« Haltlos weinend stieß ihn der Quartiermeister des Zweimasters kopfüber über die Reling in die See.
Geführt von einer gnadenlosen Kraft, wiederholte sich die Szene ohne Atempause von neuem. Nun aber hatte Asandir genug Kontrolle gewonnen, um die Muster des Fluches von Mearth zu erkennen. Ursprünglich dazu gedacht, die Fontäne der Fünf Jahrhunderte vor Fremden zu schützen, bannte Daviens Magie den Geist eines Menschen an einen nie endenden Zyklus seiner schmerzlichsten Erinnerungen. Diese Tortur raubte dem Opfer den Verstand oder, soweit es zu zäh war, wahnsinnig zu werden, sein Gedächtnis, denn die einzig mögliche Gegenwehr bestand darin, sich allen schädlichen Erinnerungen zu verschließen.
Asandir unterbrach den Zyklus mit einer Sorgfalt, die aus seiner perfekt geschulten Gabe resultierte. Erlöst lag nun Arithon s’Ffalenns Geist für seinen Zugriff offen vor ihm. Voller Mitgefühl untersuchte der Zauberer vorsichtig die Erinnerungen seines Schützlings. Er begann in der frühesten Kindheit und arbeitete sich systematisch an die Gegenwart heran. Was er erfuhr, ging ihm zu Herzen.
Arithon war in mehrfacher Hinsicht begabt, ein magisch geschulter Geist, bekümmert, weil er im Dienste des königlichen Thrones auf seine Gaben verzichten mußte. Gefangen in der gestrengen Gewissenhaftigkeit derer zu s’Ffalenn und zugleich gehetzt bis weit über die Grenzen des Erträglichen hinaus durch die Hellsicht seiner Mutter, einer s’Ahelas, würde Arithon es niemals wieder wagen, sich der qualvollen Entscheidung zu stellen, sich den
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