Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Fähigkeit, Nachsicht zu üben. Das sanfte, silbrige Licht, das die Konturen der Sumpflandschaft aus dem Dunkel riß, war ein Wunder, mehr noch als Magie und doch substanzloser als ein Atemzug. Elairas ehrliche Natur konnte sich dennoch der Wahrheit nicht verschließen: Ohne das Vertrauen, das Asandir ihr geschenkt hatte und ohne den Vorzug, Zugang zu den Archiven der Korianizauberinnen zu haben, hätte sie von dem Himmel jenseits des Desh-Thiere ebensowenig gewußt wie die Sumpfbewohner und wäre ebenfalls aus Furcht geflüchtet.
Den Rest des Abends brachte sie damit zu, den Menschen zu helfen. Sie rettete den schmorenden Inhalt von Töpfen davor, auf den verlassenen Herden zu Kohle zu verbrennen, sie redete sich heiser bei dem Versuch, die Sumpfbewohner unter Decken, hinter Barrikaden aus hastig vor Türen gestapelten Möbelstücken und aus Wurzelkellern hervorzulocken. Sie nutzte ihren Kristall, um Siegel des Friedens und der Ruhe zu schaffen, zeichnete magische Symbole mit der Präzision, welche die Kunst ihres Handwerks von ihr verlangte, in die Luft, bis ihre Finger schmerzten. Der Erfolg ihrer Mühen blieb zweifelhaft. Der Anführer der Bewohner fand Trost in einem Tonkrug mit unausgegorenem Weingeist, während eine ältliche Großmutter unter einem Berg Decken unablässig schrie und Obszönitäten schluchzte. Erleichtert, daß ihr wenigstens der Tumult erspart blieb, der sich nun in den Städten abspielen mußte, überließ sie sich schließlich ihrer Erschöpfung und erfüllte ihren eigenen Bedarf an Ruhe. Sie warf sich ihren Umhang um. Draußen, allein, starrte sie hinauf zu dem Wunder unverdeckter Sterne, und ihre Verzückung nahm von Augenblick zu Augenblick zu.
Die tiefe Stille über dem Sumpfland, die sie sonst als bedrückend empfunden hatte, lud sie nun dazu ein, das Wunder eingehend in Augenschein zu nehmen. Bäume sahen im Wechselspiel des zarten Sternenlichtes mit den Schatten verändert aus. Das Eis schien nun nicht mehr grau, sondern silbern zu sein, und die Senken im Schatten wirkten so weich wie der Samt eines reichen Mannes. Voller Freude nahm sie die erstaunliche Klarheit der Sicht in sich auf, und schnitt anderen Gedanken kraft ihres Willens gewaltsam den Weg ab.
Eiserne Disziplin ermöglichte es ihr, die Schönheit zu betrachten, ohne einen Gedanken an eine unwirtliche Gegend in Daon Ramon zu verschwenden, wo ein schwarzhaariger Prinz gemeinsam mit seinem Halbbruder daran arbeitete, dieses Wunder geschehen zu lassen. Morriels Warnung war deutlich gewesen und ernüchternd in ihr Herz eingedrungen. Tagelang hatte sie sich erfolgreich jede Spur des Bedauerns verboten, und nun war sie stolz, diese herausragende Prüfung, den Anblick des klaren Himmels und der Sterne, ohne Fehl zu bestehen.
Von Aufregung ergriffen, zitterte sie, als sie darüber nachdachte, wie wohl klares Sonnenlicht aussehen würde. Sie fühlte keinen Neid, als sie daran dachte, daß ihre Schwestern, die zur Wache eingeteilt waren, es wahrscheinlich bereits gesehen hatten. Elaira schob ihre Hände unter ihre Kleider. Zufrieden trotz Kälte, Einsamkeit und der Trostlosigkeit des mitternächtlichen Sumpfes, wartete sie darauf, daß die Dämmerung einsetzen würde.
In dem Augenblick hart erkämpfter Ausgeglichenheit erreichte sie die Nachricht der Ersten Zauberin. Mit dem Puls der Energie des Zweigen Weges peinigten sie die Worte, und ihre Bedeutung zerschmetterte den Frieden:
»Für Elaira, neue Anweisungen der Obersten Zauberin: Über die Vertreibung des Nebelgeistes in Ithamon hinaus hat die Bruderschaft der Sieben vor, die Krönung eines Hohekönigs in Etarra zu arrangieren. Dir wird befohlen, dorthin zu reisen, um deine innigsten Einsichten in der königlichen Prinzen Charakter zur Prüfung zurückzubringen.«
Wards, Hüter und Barde
Die Böen, die durch die geborstenen äußeren Mauern Ithamons fegen, vereinigen sich mit einem zweiten Strom, einem unnatürlichen Wind, der die toten Gräser verdreht und trockene Blätter mit sich führt; für das Auge nicht mehr als ein Wirbelwind, bringt der körperlose Zauberer Luhaine Wards gegen Desh-Thiere an, die durch Zeit ebenso wie durch Weltendimensionen schneiden …
Als das Sonnenlicht endlich über Havistock hereinfällt, verabschiedet sich der Zauberer Traithe von dem Handwerker, der als Ziehvater für den Thronerben von Havish sorgt: »Prinz Eldir wird sein Erbe annehmen, wenn die Thronfolge von Rathain in Etarra geregelt ist. Bis dahin aber müssen
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