Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
durch den Schritt.
Das bärtige Kinn verdrießlich auf die Hände gestützt, die er über seinen Knie gefaltet hatte, wirre Haarsträhnen auf der Stirn, die sich von der drückenden Feuchte der Seeluft kräuselten, begann Dakar, ernsthaft nachzudenken. Während elegante, glänzend lackierte Kutschen und schmutzige Rollwagen unter dem Klang knallender Peitschen und klimpernden Zaumzeugs an seinem Sitzplatz vorüberzogen, erfuhren seine unbeholfenen Gedankengänge eine Erleuchtung.
»Ath!« Sein Ausbruch veranlaßte eine streunende Katze, wie der Blitz hinter einem Haufen von altem Eisen zu verschwinden. Ein kunterbunt gekleidetes Straßenkind unterbrach seine Almosensammlung, um ihn mit schreckgeweiteten Augen anzustarren. Dakar schenkte beiden keinerlei Beachtung. »Sollen doch die Dämonen diesen lästigen Zauberer holen. Was ich jetzt brauche, ist eine Kräuterhexe!«
Das Straßenkind schlich näher heran und lächelte ihm liebreizend zu. »Herr, ich kenne eine solche Frau. Ein halbes Silberstück, und ich führe Euch zu ihrem Haus.«
Dakar betrachtete den Streuner, dessen bloße Füße und zerlumpte Kleider arglistig über eine wohlgenährte Gestalt hinwegtäuschen sollten, mit finsterem Blick. »Verdammter Räuber.« Doch Hunger und Durst wogen schwerer als sein Drang zu feilschen, und er übergab dem Kind grollend das geforderte Geld.
Die Kräuterhexe, die dreist genug war, ihrem Gewerbe innerhalb der Stadtgrenzen Tharidors nachzugehen, besaß eine verwahrloste Hütte hinter dem Gerberhof. Nachdem das Straßenkind ihn zu dem schiefen Eingang gebracht hatte und sogleich davongelaufen war, hielt sich Dakar mit schwitzenden Fingern die Nase zu, wobei er heftig bedauerte, atmen zu müssen. Der Geruch, der von den Gerbereien herbeiwehte, war auch ohne die Regenfässer der Hexe überwältigend, auf denen sich ausgetrocknete Innereien stapelten, welche wiederum ganze Fliegenschwärme in der Sonne anlockten. Unterhalb der Bretter der Laufstege lugten die glänzenden Augen futtersuchender Ratten aus dem Schatten hervor, nur um sich sogleich, aufgeschreckt durch sein ärgerliches Klopfen an der Tür, in Windeseile zurückzuziehen.
Die verzogenen, unbehandelten Bretter des Türblattes kreischten in ihren Zinnangeln. Finger schoben sich um den Rand, deren Nägel abgebrochen und mit getrocknetem Blut befleckt waren. »Wer da?« erklang ein rauhes Flüstern.
Beinahe erstickt von dem Gestank und nicht fähig zu sprechen, wedelte Dakar mit seinem Geldbeutel.
Nachdem sein Name und seine Herkunft nun an Bedeutung verloren hatten, öffnete die Kräuterhexe ihm die Tür.
Tageslicht durchdrang Unordnung und Finsternis und gab Anlaß zu einem heftigen Schlagen staubiger Flügel. Ein verschlafener Hahn krähte, gefolgt von einem zweiten, während eine Wolke beißender Ausdünstungen von verbrannten Kräutern und Gewürzen auf die Straße hinauswehte. Die Frau, die breitbeinig auf der Schwelle stand, starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Ihr ungewaschenes Haar erinnerte an ein Vogelnest, gespickt mit Thymianzweigen und Brustfedern, die aussahen, als hätte ein Luftzug sie dorthin geweht. Ihre Kleidung aus Rehleder war mit Siegeln und Flecken diverser Mahlzeiten übersät, und ihre rußgespickte Haut schimmerte bläulich.
»Was willst du von mir? Ein Liebesbann? Ein Heiltrunk?« Sie stach mit einem gichtigen Finger in die vorstehende Wölbung der Eingeweide ihres Besuchers. »Ah, muß wohl ein Heiltrunk sein, was? Da hat dich wohl ein Weibsbild den Prügeln ihres Gatten überlassen, nicht wahr? Schüchternheit wird an der Wahrheit auch nichts ändern.«
Dakar blinzelte und hustete beleidigt schlechte Luft aus seinen Lungen. »Tatsächlich brauche ich jemanden, der mich von einem Bann befreit.«
Die Alte kicherte so heiser wie ihre Türangeln gekreischt hatten. »Hat dich ein Mädchen mit einem Liebeszauber eingefangen? Ach, das kann doch nur eine Lüge sein. Erwartest du, daß ich das glaube?«
»Das hat überhaupt nichts mit Schwierigkeiten in bezug auf Frauen zu tun«, schnappte Dakar. »Solltest du übrigens ein Huhn aufschlitzen müssen, um einen Bann zu lösen, dann bin ich gewiß an der falschen Adresse.«
Er wandte sich ab, um zu gehen, doch eine fahle Hand schoß vor und umklammerte die Hand, die den Geldbeutel festhielt. »Nur nicht so hastig, dummer Kerl.« Ein keuchender Atemzug löste sich in einem schnaufenden Gelächter. »Und was das Aufschlitzen der Hühner angeht: Es gibt Klienten, die das von
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