Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
schimmerten.
Über ihnen gelang es den Matrosen des Drachen mit vereinten Bemühungen, die Segel langsam einzuholen. Während die Deckmannschaft damit beschäftigt war, die Takelage zu spannen und loses Segeltuch zu vertäuen und der Wind nur mehr über festgespannte Taue fegte, nahm der Lärm auf Deck ab. Es war nun leichter, sich zu verständigen, doch Arithon hatte weiter nichts zu sagen.
Tatsächlich trug er unter den herumflatternden Fetzen seines Hemdes eine Schriftrolle bei sich, mehrere Lagen dick und mit einem Band verschnürt, auf dem ein edles und scheinbar sehr altes Siegel prangte.
Dhirken verhakte ihr Entermesser hinter der Verschnürung und zog die Schriftrolle heraus.
»Gern geschehen«, kommentierte ihr Eigentümer gleichmütig. »Das Siegel, das übrigens echt ist, gehört der Familie s’Gannley. Dieses Geschlecht herrscht in Abwesenheit des Königs über Camris. Nur weiter. Lest es. Ich habe Euch eingeladen.«
Der Kapitän zog die Schriftrolle von der Spitze des Entermessers. Zerschnittene Bänder flatterten mit dem Wind über Bord, als sie das Pergament ausbreitete und den Text überflog.
»Gnädige Frau?« sagte Arithon mit ernsthafter Zurückhaltung. »Darf ich vorschlagen, daß Ihr jemanden holt, der lesen kann?« Als Objekt des ausgesprochen giftigen Blickes Dhirkens zuckte er entschuldigend die Schultern. »Ihr haltet es verkehrt herum.«
»Verdammt!« Dhirken grinste mit kaltem Vergnügen, gegen ihren Willen von seinem Mut beeindruckt. »Du wirst sehr, sehr langsam sterben. Vielleicht schneide ich dir einen Finger nach dem anderen ab, bis wir genug Haie angelockt haben, sie mit dem Rest von dir zu füttern.« Hart glitzerten die goldenen Kreolen an ihren Ohren, als sie ihrem verschreckten ersten Maat das Pergament in die Hände klatschte.
»Was steht drin?« verlangte sie zu erfahren.
Peinlich berührt, öffentlich zum Vorlesen aufgefordert zu werden, knurrte der Maat seine Kameraden an: »Wenn hier einer lacht, reiß’ ich ihm später die Gedärme aus!« Er strich das Pergament glatt, runzelte mißtrauisch die Stirn und arbeitete sich zögernd und mit erstickter Stimme durch den Text der ersten Seite, die von Gold in Münzgewichten, von Kristall aus Falgaire, feiner Seide und Teppichen aus Narms kündete. Reichtum, wie die habgierigste Seele ihn nicht zu erträumen wagte, lockte alle Matrosen in Hörweite herbei, sich aufgeregt neben ihren ersten Maat zu drängen.
»Bleibt auf der Hut!« schnappte Dhirken. »Falls es einen Schatz gibt, so wissen wir doch nur von ein paar Federstrichen auf einem Pergament!« Als der Maat sich mit der nächsten Seite abmühte, unterbrach sie ihn und betrachtete ihren Gefangenen, dem es, obgleich agil wie ein Wiesel, nicht gelungen war, seiner schwebende Haltung zwischen den Männern zu entkommen, die ihn mit Gewalt zur Passivität zwangen.
»All diese Güter …« Sie lachte. »Du willst mir doch nicht erzählen, du wärest auf ehrbare Weise an diesen Reichtum gekommen.«
»Nun werdet Ihr doch neugierig.« Arithon streckte sich so sehr er konnte, und endlich gelang es ihm, seine Zehen auf Deck zu setzen. Möglicherweise verärgert, weil die Seeleute, die seine zarten Handgelenke umfaßt hielten, offenbar entschlossen waren, seine Blutzirkulation zum Erliegen zu bringen, fügte er hinzu: »Ich habe Euch auch nicht gefragt, woher die Güter in Eurem Frachtraum stammen.«
»Und du hattest einen guten Grund, ein Schmugglerschiff heuern zu wollen, wie ich sehe.« Blieb das Problem, daß ihre Brigg ohne jede Orientierung auf See kreuzte, und weit und breit keine Küstenlinie sichtbar war.
Noch ehe sie ihr Urteil verkünden konnte, ergriff Arithon ebenso schmeichelnd wie sachlich das Wort. »Ihr habt nichts zu verlieren, wenn Ihr mir zuhört. Nachdem Ihr durch mich soviel Ärger habt, warum hört Ihr Euch nicht einfach an, was Ihr dabei gewinnen könnt?«
Wie Spinnweben krochen Schatten über das polierte, seewassergetränkte Holz, auf dem sich eine weiße Salzschicht bildete, als es allmählich trocknete. Der schlitzohrige Maat mißhandelte die Ecken des Pergaments, und die Matrosen betrachteten wie erstarrt ihren Kapitän. Nur das Ächzen des Ruders und das Knirschen der Takelung, welche das schlingernde Schiff begleitete, störte die Stille.
Auge in Auge mit einem Gefangenen, der nicht größer war, als sie selbst, ahnte Dhirken tief im Inneren die herbe Ironie: Es war, als wäre der Tod selbst nur ein billiger Trick, geschaffen zu irgendeinem
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