Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
inne. »So sehr liebt Ihr ihn. Ich kann es kaum fassen.«
»Dann solltet Ihr nicht hierbleiben«, konterte Lord Diegan, der noch immer stur den Blick abgewandt hielt. »Prinz Lysaer hat etwas an sich, dem kein Mann widerstehen kann. Jede Nacht danke ich Ath, daß der Herr der Schatten nicht mit der gleichen natürlichen Begabung geboren wurde.«
Des Tages Helligkeit zog herein. Nebelschwaden zogen mit dem Wind über eine Landschaft, geschmückt mit sommerlichem Blätterwerk. Unter Qualen, die ihm den Atem raubten, lauschte Lord Diegan dem Hufschlag des davongaloppierenden Schlachtrosses, auf dem der Hauptmann saß; betäubt vor Kummer hörte er die gebrüllten Anordnungen der Feldwebel, gefolgt von Lysaers billigenden Rufen, die gedämpft und ohne Widerhall über die Hänge schallten.
Avenors Lordkommandant legte die Zügel über seinen Arm und barg sein Gesicht in den von Handschuhen verhüllten Fingern.
Dann durchbrach das Jammern der Pfeile die Stille, ein Geräusch, so bösartig und todbringend wie an jenem anderen Sommertag, an dem sie an den flutgepeitschten Ufern des Tal Quorin eine blutige Schlacht geschlagen hatten.
Gepeinigt von der Erinnerung an den vergangenen Schrecken und der derzeitigen Gefahr, lauschte Lord Diegan angespannt.
Doch das Geräusch aufprallender Pfeilspitzen blieb ebenso aus wie das Rauschen der Schäfte, die vom Laub von ihrem Kurs abgelenkt wurden. Er hörte nicht, wie Stahl sich in Fleisch bohrte, hörte keinen Schrei. Nur ein leises Kreischen der Luft selbst, und dann überzog Hitze seine Haut wie Flammen, getragen vom Wind. In der Stille, die die davongeflogene Drossel zurückgelassen hatte, ertönte der erstaunte, ungläubige Ausruf des Hauptmanns von Karfael: »Ath! Allmächtiger Ath! Es ist ein Wunder!«
Die Augen noch immer von feuchtem Leder bedeckt, hörte Diegan Lysaers fröhlich schallendes Gelächter. »Kein Wunder, mein guter Mann. Aber nun, endlich, kann ich den Barbaren Maenalles entgegentreten. Nun habe ich die Macht, mein Heer vor ihrer Hinterlist zu schützen, wenn der Tag kommt, da wir über den Paß von Orlan marschieren werden, um den Herrn der Schatten zum Kampf zu fordern.«
Verzagt und mit den Nerven am Ende hockte Lord Diegan kraftlos im Sattel. Sein Pferd hielt den Kopf gesenkt, um sich am Gras gütlich zu tun, und er wußte, er mußte absteigen, um die Zügel zurückzuholen, die herabgeglitten waren und sich um das goldgezierte Zaumzeug gewickelt hatten.
Als der Gesandte Karfaels im Galopp zu ihm zurückkehrte, stand Lord Diegan im Gras. Die Augen getrocknet, gelang es ihm, durch seinen etarranischen Zynismus wenigstens den Anschein seiner Würde zu bewahren, als er dem Hauptmann so hingerissen in die Augen sah, als wäre er erleuchtet worden, was vermutlich auch der Fall war.
Lysaers Nähe reichte aus, einen Mann so fühlen zu lassen.
Frostig stand Lord Diegan, eingehüllt in seinen seidenen Wappenrock, da und betrachtete die Delegation aus der Stadt mit einem Gefühl erschütterter, tiefbetrübter Demut. Er hätte den Befehl zu schießen nicht erteilen können; nicht einmal, um zu erfahren, ob Lysaers Gabe des Lichts als Verteidigungsschild genutzt werden konnte. Ganz allmählich löste sich der Schmerz in seiner Brust, der seine Zunge gelähmt hatte.
»Ihr schuldet mir achtzig Royal«, sagte er zu dem Hauptmann. Dann lächelte er, erfüllt von einer Hochstimmung, die selbst den heftigsten Orgasmus in den Schatten stellte, den ihm eine Frau jemals bereitet hatte. »Mein Prinz lebt, und er ist unverletzt.«
»Habt Ihr es gesehen?« schrie der Hauptmann, der noch viel zu aufgewühlt war, sich um die verlorene Wette zu scheren. »Seine Hoheit von Tysan hat Licht gewoben, und nicht einer von tausend Pfeilen konnte ihn noch berühren. Er ist unbesiegbar, und ein Heer, das seinem Befehl gehorcht, kann nicht verlieren.«
Opfer
Nahe der Handelsstraße, die sich gen Norden zur Stadt Etarra schlängelte, breitete sich die alte Furt, die einst den Fluß Severnir durchzogen hatte, staubtrocken im Zwielicht des unkrautbewachsenen Bettes aus kahlen Felsen und niedergedrückten Gräsern aus, während das scharfe Summen sommerlicher Insekten die Luft erfüllte. Die Clanmänner, die sich durch die Dämmerung schlichen, verursachten kaum Geräusche. Sie hatten den letzten Gefangenen aus einem Wagenzug gefesselt und geknebelt, noch ehe sich der Abend mit heraufziehender Dunkelheit über die nach Westen weisenden Felshänge gelegt hatte, und Stille, zu
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