Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Gerissenheit. Warum sind wir nur nicht darauf gekommen, daß seine Hoheit so etwas versuchen könnte?«
»Ich bezweifle, daß unser Gebieter in diesem Fall planmäßig gehandelt hat.« Die Erinnerungen seiner Kindheit waren ihm nur allzu deutlich im Gedächtnis, und Jieret gedachte jener Nacht, in der er wachgelegen und mitangehört hatte, wie der alte Meisterbarde den Prinzen gescholten hatte, weil dieser sein Talent vergeudet hatte. Gequält angesichts der Erinnerungen an eine Vergangenheit, in der seine Familie noch gelebt hatte, biß der Herzog die Zähne zusammen. Mit angehaltenem Atem wartete er das Ende des gewaltigen Schreckens ab, der seinen Kriegerhauptmann befallen hatte, als er auf den letzten Zeilen von den Zerstörungen gelesen hatte, die Arithon in der Nacht der Sonnenwendfeier des Statthalters durch seine Musik hervorgerufen hatte.
»Dharkaron!« Caolle rollte das Pergament straff zusammen, und ein dissonantes, metallisches Geräusch brach hervor, als er mit seiner Rüstung über den Knauf seines Breitschwertes schabte. »Wir müssen davon ausgehen, daß der ausgesandte Reiter den Inhalt der Botschaft kennt.«
Der junge Herzog des Nordens starrte in die zunehmende Dunkelheit, während eine sanfte Brise die Grashalme an seine Stiefel drückte, die von Tropfen allmählich trocknenden Blutes bedeckt waren. Er konnte nicht mitansehen, wie Caolle einer grausamen Logik nachging: Wenn der Kurier den Namen des Mannes kannte, der die Entweihung in Jaelot bewirkt hatte, so hatte er wahrscheinlich anderen davon erzählt. Jeder einzelne Fahrer dieses Wagenzuges mochte nunmehr bereit sein, das Gerede weiterzutragen, Gerede über Fakten, die unter keinen Umständen dem Gouverneur von Etarra zu Ohren kommen durften.
»Möge Ath sich erbarmen, wir haben mehr Gefangene als eigene Leute.« Caolles derbe Finger schlossen sich, zerknüllten das Pergament mit den schwarz-goldenen Bändern und dem zerbrochenen Siegel. »Ich habe meine Klinge offenbar zu früh gereinigt.« Ganz ruhig und sachlich sprach er die Worte, die für zwei Dutzend Gefangene den Tod bedeuten sollten.
Doch Jieret kannte seinen Hauptmann besser als den Vater, den er verloren hatte, und kein noch so schroffes Gebaren, keine noch so großen Töne vermochten ihn zu täuschen. »Wir können das Risiko nicht auf uns nehmen.« Hinter seiner gequälten Einwilligung verbarg sich ein Kummer, den die Jahre nicht zu lindern vermochten, denn als das Heer Etarras sich das letzte Mal gezwungen gesehen hatte, gegen Arithon s’Ffalenn zu Felde zu ziehen, waren seine Leute beinahe alle getötet worden. »Die anderen können voranreiten. Wir folgen später nach. Sie brauchen nicht erfahren, was wir herausgefunden haben.«
Das Pergament fiel zu Boden, als Caolles kraftvolle Hand sich um den Unterarm seines Clanführers schloß. »Nein, Junge«, sagte er, obgleich der Herzog gewiß kein Kind mehr war. »Sie müssen es erfahren. Wir können diesen Wagenzug zum Schweigen bringen und vielleicht auch noch den nächsten, ehe Pesquils Patrouillen diese Berge mit Fährtensuchern heimsuchen werden, aber irgendwann wird die Nachricht ihr Ziel erreichen. Wir können uns schon glücklich schätzen, gewarnt zu sein.«
Einige Meter entfernt scherzte ein Clanblütiger in der Dunkelheit. Gedämpftes Gelächter antwortete ihm. Während der Wind eine ausgelassene Entgegnung herübertrug, sagte Caolle: »Du wirst mit den anderen reiten. Laß mich hier zurück, damit ich mich um diese Angelegenheit kümmern kann. Ich werde dafür sorgen, daß das, was getan werden muß, schnell und sauber vonstatten geht, während die Städter schlafen und nicht merken, was mit ihnen geschieht.«
Bebend entwich der Atem Jierets Lungen, während sie einander in die Augen blickten. »Du kannst mich nicht schonen!«
»Nein.« Caolle strich sich mit dem Rücken seiner blutverkrusteten Faust über das Kinn. »Wir können auch unseren Herrscher nicht schonen. Das bedeutet aber nicht, daß wir es nicht versuchen werden. Nun geh. Je länger wir an diesem Ort verweilen, um so größer wird die Gefahr. Die Vorreiter der nächsten Wagenzüge könnten die Spuren der Wagenräder an der Stelle finden, an der die Wagen die Straße verlassen haben. Wir dürfen nicht riskieren, hier draußen entdeckt und verfolgt zu werden.«
Ein vernünftiger Gedanke, wie Jieret wohl wußte. In solchen Augenblicken verstand er seines Vaters frühere Zurückhaltung nur allzu gut. Keinem Städter konnte noch ein Vorwurf gemacht
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